Kein erweiterter Umgang oder Doppelresidenz bei Kommunikations- und Kooperationsunfähigkeit der Eltern


OLG Koblenz
Aktenzeichen: 13 UF 676/17 vom 19.12.2017
Veröffentlicht in FamRZ 2018,507

 

Tenor / Inhalt der Entscheidung

Leitsatz von doppelresidenz.org

 

 

Eine fehlende Kooperations- und Kommunikationsfähigkeit der Eltern schließt nicht nur eine Doppelresidenz, sondern auch einen (stark) erweiterten Umgang aus.

 

Zur Sachlage

Die Eltern lebten über Jahre eine recht komplexe Umgangsregelung. Der Vater strebte für seine 11 und 14-jährigen Söhne eine Ausweitung des Umgangs an in Form der Doppelresidenz an, die Mutter lehnt jedwede Erweiterung ab, ohne das dem Beschluss hierfür irgendwelche Gründe zu entnehmen sind. Die Kinder hatten sich für eine Ausweitung des Umgangs ausgesprochen.

Das OLG Koblenz lehnte die Beschwerde des Vaters ohne Anhörung und ohne Übersendung der Beschwerdeschrift an die Mutter allein aufgrund er Aktenlage ab. Die fehlende Kooperations- und Kommunikationsfähigkeit der Eltern schließe eine Anordnung der Doppelresidenz bereits aus. Die vom Amtsgericht getroffene Umgangsregelung (12 Wechsel im Monat) erfordere nach Ansicht des OLG keine Absprachen:

Der Umgang der Kinder mit dem Vater am Wochenende und an einem Nachmittag/Abend unter der Woche kommt eher einem Urlaub oder Ferien gleich. Absprachen bedarf es hierbei zwischen den Eltern regelmäßig nicht, wenn sich jeder Elternteil an die Umgangsvereinbarung hält.“

Selbst eine Ausweitung der bestehenden Umgangsregelung komme nicht in Betracht, da die Kinder bereits jetzt häufig als Informationsübermittler zwischen den Eltern genutzt würden, was die Kinder belaste. Selbst die aktuelle Situation wurde seitens des Verfahrensbeistandes bereits als kindeswohlgefährdend anzusehen. Die Kinder befänden sich in einem tiefgreifenden Loyalitätskonflikt. Dem Willen der 11 und 14 Jahre alten Kinder nach einer Umgangsausweitung könne daher nicht gefolgt werden, da dieser selbstgefährdend wäre.

 

Kommentar von doppelresidenz.org

Die Entscheidung des OLG Koblenz ist in mehrfacher – negativer - Hinsicht bemerkenswert. Zum einen, dass das Verfahren ohne jegliche Anhörung oder schriftliche Hinweise im Vorfeld auf die zu treffenden Entscheidung rein aufgrund der Aktenlage und des Antrages des Vaters entschieden wurde. Dies ist angesichts der Umstände mehr als ungewöhnlich und wohl auch rechtlich mindestens grenzwertig, vor allem, da bereits im Rahmen des amtsgerichtlichen Verfahrens von einer Kindeswohlgefährdung gesprochen wurde.

Die Übergehung des Willens der Kinder, 11 und 14 Jahre alt, ist in diesem Zusammenhang angesichts des Alters der Kinder und der hohen verfassungsrechtlichen Anforderungen an eine gerichtliche Übergehung des Kindeswillens kaum nachvollziehbar und nicht ansatzweise im rechtlich erforderlichen Umfang dargelegt – das OLG behauptete lediglich, dass es die Kinder nicht in der Lage sehe, sich der Konsequenzen eines erweiterten Umgangs bewusst zu sein. Dass dies eher beim OLG selbst der Fall war, wird nachfolgend noch weiter ausgeführt werden.

Auch wird immer wieder von der mangelnden Kooperations- und Kommunikationsfähigkeit „DER ELTERN“ gesprochen- diese Fähigkeit ist jedoch ein erheblicher Faktor der Erziehungsfähigkeit jedes einzelnen Elternteils und trägt in diesem Fall erheblich dazu bei, inwieweit die Kinder belastet oder hier sogar gefährdet werden. Ohne eine fachliche Aufklärung, welchem Elternteil diese Fähigkeit fehlt, dürfte die Abwendung einer weiteren Gefährdung und der Vertiefung des bestehenden Loyalitätskonfliktes der Kinder kaum entgegengewirkt werden können.

Das OLG Koblenz meinte dazu: „Keiner Entscheidung bedarf vorliegend, ob und ggfls. welchen Elternteil eine größere Schuld an dem Kommunikations- und Kooperationsproblem trifft. Denn im vorliegenden Verfahren geht es nicht um sorgerechtliche Fragen.“

Dieser Einschätzung kann jedoch schon allein aus logischen und rechtlichen Gründen nicht gefolgt werden. Die Umgangsregelung wurde geschlossen und der Kindeswille übergangen, um eine Gefährdung abzuwenden. Hier bewegt sich das Gericht also bereits in Bereichen des §1666 BGB. Im Rahmen dessen ist das Gericht jedoch nicht an Anträge der Beteiligten gebunden, sondern ist, wie generell in Kindschaftssachen, an den Amtsermittlungsgrundsatz gebunden und hat alle entscheidungserheblichen Tatsachen selbst zu ermitteln und die notwendigen, ggf. auch sorgerechtlichen, Maßnahmen zu ergreifen, um eine Gefährdung des Kindeswohles abzuwenden.

Auch die Einschätzung, dass die durch das Amtsgericht getroffene, komplexe Umgangsregelung keiner Absprachen bedürfe und eher einem Urlaub entspreche, widerspricht das OLG selbst, da es feststellt, dass die Kinder auch durch diese Regelung bereits erheblich belastet sind, ohne den hierfür verantwortlichen Elternteil zu ermitteln oder zu einer Verringerung der Belastung beizutragen.

Es sollte sich selbst dem Gericht logisch erschließen, dass bei JEDEM Wechsel zwischen den Eltern Absprachen getroffen werden müssen. Haben die Kinder Krankheiten, was muss an Hausaufgaben erledigt, für welche Arbeiten etwas geübt werden, gibt es Aktivitäten oder Verabredungen der Kinder oder welche Kleidung müssen diese z.B. fürs Wochenende haben, wenn geschwommen oder gewandert werden soll? Die Abspracheerfordernisse der amtsgerichtlichen Regelung mit 12 Wechseln im Monat sind daher erheblich höher als bei der vom Vater beantragten Woche-Woche-Regelung mit 4 Wechseln im Monat.

Letztlich hat die gerichtliche Entscheidung für die Kinder keinerlei Verbesserung der Situation ergeben, außer, dass sie erfahren mussten, dass ihr Wille, auch mehr Zeit mit ihrem Vater zu verbringen, übergangen wurde und sie weiterhin im massiven Loyalitätskonflikt stecken.

 

Was hätte das Gericht machen können?

 

 

Zum einen hätte es dem Willen der Kinder nach mehr Zeit mit ihrem Vater nachkommen können. Hierdurch hätten sich die bisher häufigen Wechsel und Kommunikatons- / Abstimmungspunkte reduziert und die Kinder hätten mehr Zeit gehabt, beim jeweiligen Elternteil anzukommen und in dessen Haushalt zu leben. Allein dies bringt häufig für die Kinder bereits eine erhebliche Entlastung. In Anbetracht des Alters der Kinder hätte sogar über einen 14-tägigen Wechsel nachgedacht werden können, was lediglich zwei Wechsel im Monat bedeutet hätte

Weiterhin hätte das Gericht den Eltern aufgeben können, für Absprachen ein Umgangsbuch zu führen – sei es physisch oder elektronisch. Hierüber hätten die Eltern dann nachvollziehbar und nachweisbar ihre Informationen austauschen können, die Kinder wären entlastet worden. Für den Fall einer Zuwiderhandlung hätte die Möglichkeit eines Ordnungsgeldes bestanden, um die Eltern zur Einhaltung der gerichtlichen Weisungen zu bewegen.

Auch hätte das Gericht einen Umgangspfleger bestellen können, der die Eltern in der ersten Zeit anleitet und überwacht. Er hätte ihnen Hinweise geben und sich mit den Kindern über die Entwicklung austauschen können.

All diese Maßnahmen hätten tatsächlich zur Entlastung der Kinder beitragen können. Das Problem war wieder einmal nicht das Umgangsmodell an sich, sondern lediglich der Streit zwischen den Eltern. Kardinalfehler des Gerichtes war hierbei, nicht zu ermitteln, welcher Elternteil welchen Anteil an Streit hat.

Wenn man den Ausführungen des Beschlusses folgt entsteht der Eindruck, dass hier die Mutter als hauptbetreuender Elternteil den Streit eskalierte – eine häufig zu beobachtende Entwicklung in hochstrittigen Fällen. Triebfeder sind hierbei meist nicht kindbezogene Gründe, sondern Differenzen auf der Paarebene – die Kinder werden zum Spielball des hauptbetreuenden Elternteils und befinden sich in einem erheblichen Loyalitätskonflikt. Häufig enden solche Konflikte mit der Entfremdung des umgangsberechtigten Elternteils. Einer solchen Entwicklung wird häufig durch gerichtliche Entscheidungen Vortrieb geleistet, da dem eskalierenden Elternteil keine Grenzen gesetzt werden.

Diese Grenzen hätte das OLG Koblenz beispielsweise im Rahmen eines Verfahrens wegen Kindeswohlgefährdung ziehen können. Hier hätte sich dann auch zeigen können, welcher Elternteil zur Kooperation und Kommunikation fähig und bereit ist. Sollte im vorliegenden Fall tatsächlich die Mutter die streiteskalierende Kraft gewesen sein, hat das OLG ihrem Handeln in keinster Weise Einhalt geboten, sondern sie vermutlich in ihrem Handeln nur noch bestärkt. Den Kindern gedient hat die Entscheidung wohl kaum.

Im Rahmen eines solchen §1666er-Verfahrens hätte auch, mit deutlichen Weisungen an die Eltern, die Doppelresidenz probehalber installiert werden und die Entwicklung beobachtet werden können.

Wenn sich ein Gericht jedoch derart lustlos und unmotiviert mit Verfahren beschäftigt, in die hochbelastete Kinder involviert sind, dann ist wohl kaum zu erwarten, dass dem Kindeswohl tatsächlich genüge getan wird. Das OLG hat sich hier nicht nur nicht mit den tatsächlichen Gegebenheiten rund um die Doppelresidenz auseinander gesetzt – es hat auch die Chance vergeben, den hochbelasteten Kindern eine Entlastung zu verschaffen.

 



Zuletzt geändert am 28.01.2020 um 19:47

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