Keine Anordnung der Doppelresidenz wegen Zerwürfnis zwischen den Eltern und Hochstrittigkeit


OLG Brandenburg
Aktenzeichen: 13 UF 26/20 vom 06.07.2020
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Tenor / Inhalt der Entscheidung

1. Unter Zurückweisung der Beschwerde im Übrigen wird der Beschluss des Amtsgerichts Zossen vom 29.01.2020 - 6 F 64/18 - wie folgt teilweise abgeändert:

Ziffer 2. des Tenors erhält folgende Fassung:

Unter Aufhebung der Betreuung des Kindes im Wechselmodell hat der Antragsteller das Recht und die Pflicht zum regelmäßigen Umgang mit seiner Tochter S... C... F... v... D..., geboren am ... 2014, an jedem Freitag einer jeden geraden Kalenderwoche von 14.00 Uhr, Abholung des Kindes vom Haushalt der Mutter, bis Sonntag, 18.00 Uhr, Zurückbringung in den Haushalt der Mutter.

Weiter hat der Antragsteller das Recht und die Pflicht zum Ferienumgang mit seiner Tochter wie folgt:

In den geraden Kalenderjahren

jeweils während der ersten Hälfte der Brandenburgischen Oster- und Herbstferien beginnend mit dem letzten Schultag, Abholung des Kindes vom Haushalt der Mutter um 18.00 Uhr, bis zum Sonntag der ersten vollen Ferienwoche, Zurückbringung in den Haushalt der Mutter um 18.00 Uhr;

sowie während der ersten Hälfte der Brandenburgischen Sommerferien ab dem Jahr 2022 beginnend mit dem letzten Schultag, Abholung des Kindes vom Haushalt der Mutter um 18.00 Uhr, bis zum Sonntag der dritten vollen Ferienwoche, Zurückbringung in den Haushalt der Mutter um 18.00 Uhr.

In den ungeraden Kalenderjahren

jeweils während der zweiten Hälfte der Brandenburgischen Oster- und Herbstferien beginnend mit Samstag der ersten vollen Ferienwoche, Abholung des Kindes vom Haushalt der Mutter um 18.00 Uhr, bis zum Samstag vor Schulbeginn, Zurückbringung in den Haushalt der Mutter um 18.00 Uhr;

sowie während der zweiten Hälfte der Brandenburgischen Sommerferien ab dem Jahr 2021 beginnend mit Samstag der dritten vollen Ferienwoche, Abholung des Kindes vom Haushalt der Mutter um 18.00 Uhr, bis zum Samstag vor Schulbeginn, Zurückbringung in den Haushalt der Mutter um 18.00 Uhr.

Weiter pflegt der Vater Umgang mit seiner Tochter in den ungeraden Kalenderjahren während der Brandenburgischen Winterferien beginnend mit dem letzten Schultag, Abholung des Kindes vom Haushalt der Mutter um 18.00 Uhr, bis zum Samstag vor Schulbeginn, Zurückbringung des Kindes in den Haushalt der Mutter um 18.00 Uhr; in den geraden Kalenderjahren verbringt das Kind die Winterferien bei der Mutter.

Weiter hat der Antragsteller das Recht und die Pflicht zum Weihnachtsumgang mit seiner Tochter in den geraden Kalenderjahren beginnend mit dem letzten Schultag, Abholung des Kindes vom Haushalt der Mutter um 18.00 Uhr, bis zum 25.12. um 14.00 Uhr, Zurückbringung in den Haushalt der Mutter;

in den ungeraden Kalenderjahren beginnend mit dem 25.12. um 14.00 Uhr, Abholung des Kindes aus dem Haushalt der Mutter, bis zum Samstag vor Schulbeginn um 18.00 Uhr, Zurückbringung in den Haushalt der Mutter.

Sämtliche weitere Feiertage und der Geburtstag des Kindes unterliegen dem oben geregelten Umgang. Fällt der Beginn des Ferienumgangs auf ein Wochenende regulären Umgangs, erweitert sich der Umgangsbeginn um den Tag des regulären Umgangs.

Der Umgang fällt nur für die Dauer aus, für die das Kind aufgrund ärztlichen Attests transportunfähig erkrankt ist. Bei Wiederherstellung der Transportfähigkeit während der Umgangszeit wird der Umgang unverzüglich aufgenommen. Ausgefallener Umgang wird nicht nachgeholt.

Die Antragsbeteiligten werden darauf hingewiesen, dass bei schuldhafter Zuwiderhandlung gegen die sich aus diesem Beschluss ergebenden Verpflichtungen gegenüber dem Verpflichteten Ordnungsgeld bis zur Höhe von 25.000,- €, und für den Fall, dass dieses nicht beigetrieben werden kann, Ordnungshaft bis zu sechs Monaten angeordnet werden kann. Verspricht die Anordnung eines Ordnungsgeldes keinen Erfolg, kann das Gericht Ordnungshaft bis zu sechs Monaten anordnen. Die Festsetzung eines Ordnungsmittels unterbleibt, wenn der Verpflichtete Gründe vorträgt, aus denen sich ergibt, dass er die Zuwiderhandlung nicht zu vertreten hat.

2. Der Antragsteller hat die Kosten seines Rechtsmittels zu tragen.

3. Der Wert des Beschwerdeverfahrens wird auf 3.000,- € festgesetzt.

Gründe
I.

Der Antragsteller begehrt die gerichtliche Anordnung des Wechselmodells gegen den Willen der mitsorgeberechtigten Antragstellerin, der Mutter des gemeinsamen Kindes S... C....

Die seit 2014 verheirateten, seit November 2017 dauerhaft getrennt lebenden und inzwischen geschiedenen Eltern betreuten ihre Tochter von der Trennung bis zum Zeitpunkt der Wirksamkeit der angefochtenen Entscheidung Anfang Februar 2020 paritätisch. Seitdem wird das Kind überwiegend von der Mutter betreut und pflegt Wochenendumgang im 14-tägigen Rhythmus mit dem Vater (Bl. 667R). Mit verfahrenseinleitendem Antrag vom 01.02.2018 (Bl. 1) hat der Antragsteller die Regelung des Umgangs im Wege des Wechselmodells im Rhythmus von drei Tagen beantragt unter Hinweis auf die innige Vater-Tochter-Beziehung und den Umstand, dass die Haushalte der Eltern direkt benachbart und damit die Wechsel gut praktikabel sind. Die Antragsgegnerin ist dem mit der Begründung mangelnder Absprachefähigkeit, eines hohen Konfliktniveaus zwischen den Eltern und der überwiegend durch sie erfolgten Betreuung des Kindes in der Vergangenheit entgegengetreten und hat beantragt, Wochenendumgang des Vaters mit dem Kind im 14-tägigen Rhythmus anzuordnen (Bl. 63). In der Folge haben sich die Eltern mit gerichtlichen Zwischenvergleichen vom 13.03.2018 (Bl. 69), 25.09.2018 (Bl. 160) und 07.03.2019 (Bl. 201) jeweils vorläufig auf die Fortsetzung des praktizierten Wechselmodells, die Wahrnehmung professioneller Elternberatung und das Ruhen des erstinstanzlichen Umgangsverfahrens bis zum Vorliegen des im parallel geführten Sorgerechtsverfahren zum Aktenzeichen 6 F 528/18 in Auftrag gegebenen Erziehungsfähigkeitsgutachtens geeinigt.

In Ansehung der seit September 2018 aktenkundigen (Bl. 158), von der Antragsgegnerin nicht geteilten Befürchtung des Antragsgegners, das betroffene Kind sei im Sommer 2018 im mütterlichen Haushalt durch deren Freund sexuell missbraucht worden, haben die Antragsbeteiligten im Rahmen der erstinstanzlichen Anhörung am 10.10.2018 (Bl. 160) vereinbart, gemeinsame Beratung beim S.T.I.B.B. e.V. wahrzunehmen; diese führte indes nicht zu einem Einvernehmen. Das gegen den vom Antragsteller Verdächtigten im September 2018 eingeleitete Ermittlungsverfahren (Bl. 675) ist mit Verfügung der Staatsanwaltschaft Potsdam vom 03.03.2020 zum Aktenzeichen 476 Js 46944/18 gemäß § 170 Abs. 2 StPO eingestellt worden (Bl. 625). Der Antragsteller hat hiergegen Beschwerde eingelegt. Die Antragsgegnerin hat im Rahmen des Ermittlungsverfahrens in ihrer polizeilichen Zeugenvernehmung vom 17.09.2018 (Bl. 673) bekundet, davon auszugehen, dass ein sexueller Missbrauch ihrer Tochter nicht stattgefunden habe.

Mit Beschluss vom 19.06.2019 (Bl. 246) hat das Amtsgericht die Einholung eines Sachverständigengutachtens zur bestmöglichen Umgangsgestaltung unter Berücksichtigung des Wechselmodells angeordnet. Die Sachverständige Dipl.-Psych. M... F... hat das Gutachten vom 28.11.2019 (Bl. 258ff.) vorgelegt, auf dessen Inhalt der Senat Bezug nimmt.

Das Kind ist persönlich angehört worden (Bl. 492). Insoweit wird auf den Anhörungsvermerk vom 29.01.2020 Bezug genommen.

Mit Beschluss vom 29.01.2020 (Bl. 498), auf dessen Inhalt der Senat Bezug nimmt, hat das Amtsgericht - den übereinstimmenden Empfehlungen der Sachverständigen, des Verfahrensbeistands (Bl. 455) und des Jugendamts (Bl. 383) folgend - den Antrag des Antragstellers auf Regelung des Umgangs im Wege des paritätischen Wechselmodells abgewiesen und einen Umgang des Vaters mit dem Kind 14-tägig von Freitag bis Sonntag, während jeweils der Hälfte der brandenburgischen Schulferien und der hohen Feiertage im jährlichen Wechsel angeordnet, die Einzelheiten indes nicht geregelt. Es hat eine der Anordnung des Wechselmodells aus Kindeswohlgründen entgegenstehende Hochstrittigkeit der Eltern, die das an beide Eltern eng gebundene Kind stark belastet, eine stärker ausgebildete Bindungstoleranz der Mutter bei im Übrigen gleichgewichtigen Erziehungs- und Förderkompetenzen beider Eltern und einen auf den schwerpunktmäßigen Verbleib bei der Mutter gerichteten Kindeswillen festgestellt. Das Bestehen einer zu amtswegigem Einschreiten veranlassenden Gefahr sexueller Übergriffe auf das Kind im Haushalt der Mutter hat das Amtsgericht nicht festgestellt.

Mit seiner Beschwerde (Bl. 535) begehrt der Antragsteller weiterhin die Regelung des Umgangs im Wege des paritätischen Wechselmodells, hilfsweise die Anordnung regelmäßigen 14-tägigen Wochenend- und hälftigen Ferienumgangs zwischen der Antragsgegnerin und dem gemeinsamen Kind. Weiter hält er den Ausspruch für nicht hinreichend bestimmt und beanstandet die fehlende Vollstreckbarkeit. Die Kindeswohldienlichkeit des Wechselmodells stützt er auf den nach seiner Meinung erstinstanzlich unzutreffend ermittelten Willen seiner Tochter, gleich viel Zeit mit beiden Eltern zu verbringen und eine von der Antragsgegnerin nur zum Zweck des Hinausdrängens des Vaters aus dem Leben des Kindes inszenierte elterliche Hochstrittigkeit. Seinen Hilfsantrag begründet er mit mangelnder Bindungstoleranz und unzureichender Erziehungsfähigkeit der Antragsgegnerin sowie ihrer verlautbarten Absicht, mit dem Kind in eine andere Stadt zu ziehen, wodurch er einen Abbruch der sozialen und räumlichen Beziehungen des Kindes befürchtet. Weiter beanstandet er die Ergebnisse der Sachverständigen in dem von ihr vorgelegten Gutachten.

Die Antragsgegnerin beantragt die Zurückweisung der Beschwerde (Bl. 628) und verweist auf die Hochstrittigkeit der Eltern und die ihrer Auffassung nach zutreffenden Ergebnisse der sachverständigen Begutachtung.

Hinsichtlich des weiteren Beschwerdevorbringens wird auf den Schriftwechsel der Beteiligten im Beschwerderechtszug verwiesen. Der Senat entscheidet, wie angekündigt (Bl. 646R), ohne Durchführung eines Termins, § 68 Abs. 3 Satz 2 FamFG. Die ausführlichen Anhörungsprotokolle vom 13.03.2018 (Bl. 69), 25.09.2018 (Bl. 160), 19.06.2019 (Bl. 242) und 29.01.2020 (Bl. 492) und der anschauliche Vermerk der Kindesanhörung vom 29.01.2020 (Bl. 493) zeichnen ein umfassendes Bild der Beteiligten. Der umfangreiche erst- und zweitinstanzliche Schriftwechsel der Beteiligten, die ausführlichen Stellungnahmen des Jugendamts vom 27.02.2018 (Bl. 49), 17.08.2018 (Bl. 147), 08.01.2019 (Bl. 171) und 17.12.2019 (Bl. 383) und des Verfahrensbeistands vom 20.09.2018 (Bl. 156), 08.06.2019 (Bl. 221), 17.01.2020 (Bl. 451) und 01.03.2020 (Bl. 582) vermitteln detaillierte Informationen zum Sach- und Streitstand, die durch das schriftliche Gutachten vom 28.11.2019 und die hierauf erfolgten, ausführlichen Stellungnahmen des Antragstellers vom 27.12.2019 (Bl. 384), 27.01.2020 (Bl. 456), und der Antragsgegnerin vom 13.01.2020 (Bl. 422) zusammen mit dem ausführlichen Schriftwechsel der Antragsbeteiligten im Beschwerderechtszug anschaulich vertieft werden. Angesichts dessen sind von einem weiteren Termin keine zusätzlichen Erkenntnisse zu erwarten.

II.

1.

Die gemäß §§ 58 ff. FamFG statthafte und in zulässiger Weise erhobene Beschwerde ist in der Sache in vollem Umfang unbegründet. Das Beschwerdevorbringen rechtfertigt keine über die erstinstanzlichen Regelung des Umgangs des Kindes mit dem Antragsteller hinausgehenden Umgangskontakte aus Gründen des Kindeswohls, insbesondere nicht die gerichtliche Anordnung des Wechselmodells.

Ob die Betreuung eines Kindes getrennt lebender Eltern nach dem sogenannten paritätischen Wechselmodell hoheitlich angeordnet werden darf, wenn nur ein Elternteil dieses Betreuungsmodell wünscht, der andere es aber ablehnt, ist umstritten. Die höchstrichterliche Rechtsprechung, von der abzuweichen der Senat keine Veranlassung sieht, hält eine solche Anordnung als Gegenstand einer Umgangsregelung inzwischen für zulässig, weil dem Gesetz ein entgegenstehendes Verbot nicht zu entnehmen ist, knüpft indessen die Anordnung an mehrere Anforderungen, die von den Eltern und den betroffenen Kindern und deren Beziehung zueinander zu erfüllen sind (BGH NZFam 2020, 116; NJW 2017, 1815; Senat, FamRZ 2020, 345).

Auf dieser Grundlage unterliegt die Beschwerde in Ansehung der Hauptsache der Zurückweisung, da die Voraussetzungen für die hoheitliche Anordnung des Wechselmodells nicht erfüllt sind und eine auf das Wechselmodell gerichtete Umgangsregelung deshalb nicht dem Wohl des betroffenen Kindes entspricht. Die an die hoheitliche Anordnung des Wechselmodells gestellten Bedingungen sind: (1) hinreichende, ungefähr gleiche Erziehungskompetenzen beider Eltern, (2) sichere Bindungen des Kindes zu beiden Eltern, (3) gleiche Beiträge beider Eltern zur Entwicklungsförderung und Kontinuitätssicherung, (4) autonom gebildeter, stetiger Kindeswille, (5) Kooperations- und Kommunikationsfähigkeit beider Eltern zur Bewältigung des erhöhten Abstimmungs- und Kooperationsbedarfs, (6) keine Erwartung oder Verschärfung eines Loyalitätskonflikts des Kindes durch die Konfliktbelastung der Eltern (BGH, NJW 2017, 1815).

Der Antragsteller hat der erstinstanzlich festgestellten Kindeswohlschädlichkeit des Wechselmodells keine tragfähigen Gründe entgegenzusetzen vermocht. Seiner Auffassung, ein hochstrittiger, das Kind belastender Elternkonflikt bestehe nicht tatsächlich, sondern sei von der Antragsgegnerin nur konstruiert, steht erstens sein eigener Vortrag zur mangelnden Erziehungsfähigkeit und Bindungstoleranz der Mutter entgegen, und zweitens die Offenkundigkeit eines tiefgreifenden elterlichen Zerwürfnisses angesichts der von der Mutter nicht geteilten und weder durch das staatsanwaltliche Ermittlungsverfahren noch durch das Ergebnis des erstinstanzlich eingeholten Sachverständigengutachtens erhärteten Befürchtung des Vaters, das Kind sei sexuell missbraucht worden. Dies wird durch die Einschätzung der Sachverständigen bestätigt (Bl. 352f.), wonach Intensität und Qualität des Elternkonflikts eine Verbundenheit der Eltern auch in Zukunft nicht ermöglichen werden, weil jeder Elternteil durch die Meinungsverschiedenheit über den behaupteten sexuellen Missbrauch einen massiven Verlust an Selbstwirksamkeit erlebt und die Verantwortung dafür dem anderen Elternteil zuweist. Das Bestehen eines hochstrittigen, nicht beizulegenden Elternkonflikts wird weiter vom Verfahrensbeistand (Bl. 454) geteilt und spiegelt sich in den wiederholten, indes stets erfolglosen Bemühungen der Eltern um Herstellung eines Einvernehmens mit professioneller Hilfe bei ansteigendem Konfliktniveau im Lauf des Verfahrens wider.

Die Feststellung eines der Anordnung des Wechselmodells entgegenstehenden Zerwürfnisses zwischen den Eltern hängt nicht davon ab, zu welchem Anteil jeder Elternteil hierfür die Verantwortung trägt. Anders als der Antragsteller insbesondere im Beschwerderechtszug meint (Bl. 656f.), kann er der Ablehnung des Wechselmodells nicht seine subjektive Einschätzung entgegen setzen, er selbst trage keinerlei Anteil an dem Elternkonflikt. Im Interesse des Kindes kommt es nicht darauf an, ob der Elternstreit eventuell mehr auf das Verhalten des einen oder des anderen Elternteils zurückzuführen ist, da der Maßstab allein das Kindeswohl ist, nicht hingegen die Erwartungen und Wünsche der Eltern (BGH, NJW 2017, 1815; Senat, a. a. O.). Das Wohl des Kindes ist indes durch den andauernden, eskalierenden Elternkonflikt während des Verfahrenslaufs bereits in zunehmendem Ausmaß beeinträchtigt worden, wie sich aus den Berichten des Jugendamts vom 17.08.2018 (Bl. 147), 08.01.2019 (Bl. 171), der Sachverständigen (Bl. 343 - gravierende emotionale Belastung, Verunsicherung, verminderte Resilienz, Tendenzen einer Parentifizierung; Bl. 355 - Einkoten, Verstopfung, Schlafstörungen, Einnässen), den Einschätzungen des Verfahrensbeistands vom 19.06.2019 (Bl. 243) und 03.03.2020 (Bl. 585), dem durch den Elternstreit verursachten Polizeieinsatz vom 29.03.2020 (Bl. 633) und dem Vortrag des Antragsgegners vom 02.06.2020 (Bl. 656) ergibt, der u. a. eine Notarztvorstellung des Kindes am 28.03.2020 wegen eines Hautausschlags (Bl. 670) mitteilt. Die kindeswohlschädliche Belastung des Kindes durch den Trennungsstreit der Eltern ist offenkundig.

Auch der Hinweis des Antragstellers auf den verlautbarten Wunsch des Kindes, von beiden Eltern im selben Ausmaß betreut zu werden, vermag nicht die Anordnung des Wechselmodells zu rechtfertigen. Das Amtsgericht hat sich bei der Ermittlung des Kindeswillens zu Recht auf das Ergebnis der sachverständigen Begutachtung, die Stellungnahme des Verfahrensbeistands vom 17.01.2020 (Bl. 451) und die persönliche Anhörung des Kindes gestützt, in der das Mädchen zwar zu verstehen gegeben hat, bei beiden Eltern gleich, auf keinen Fall jedoch weniger lang bei der Mutter sein zu wollen. Die Sachverständige hat beschrieben, das Kind habe ihr in mehreren Gesprächen (Bl. 347, 348) erklärt, mehr Zeit bei der Mutter verbringen zu wollen, weil sie von dieser besser getröstet werden könne, dies aber nicht beiden Eltern mitteilen zu können. Überzeugend hat die Sachverständige diese Verlautbarung dahingehend interpretiert (Bl. 348), dass das Mädchen wegen des Elternkonflikts unter Verlustängsten leidet, deretwegen sie befürchtet, den Vater zu verlieren, wenn sie ihm ihre Gefühle offenbart, so dass sie sich entgegen ihrer wahren Gefühle verhält, indem sie sich der Erwartungshaltung des Vaters gemäß äußert.

2.

Die erstinstanzlich getroffene Umgangsregelung, durch die der Antragsgegnerin das Schwergewicht der Betreuung und dem Antragsteller Wochenendumgang mit zwei Übernachtungen im Abstand von zwei Wochen sowie hälftiger Ferien- und Weihnachtsumgang zukommt, entspricht dem Kindeswohl am besten, § 1684 Abs. 1 BGB, weshalb die Beschwerde auch auf den Hilfsantrag ohne Erfolg bleibt.

Gemäß § 1684 Abs. 1 BGB hat jeder Elternteil grundsätzlich das Recht und die Pflicht zum Umgang mit seinem Kind. Der Umgang kann nach § 1684 Abs. 4 BGB eingeschränkt oder ausgesetzt werden, wenn dies aus Kindeswohlgesichtspunkten erforderlich ist. Insoweit steht das Wohl des Kindes über dem Grundrecht des betroffenen Elternteils. In der Regel ist davon auszugehen, dass es dem Wohle eines jeden Kindes entspricht, persönlichen Umgang mit beiden Elternteilen zu haben, § 1626 Abs. 3 Satz 1 BGB. Der Umgang ist Ausdruck der verwandtschaftlichen bzw. familiären Bindungen, die auch zu dem Elternteil bestehen, bei dem das Kind nicht lebt. Für diesen ist ein regelmäßiger Umgang zudem von Bedeutung, um sich von dem Wohlergehen und der Entwicklung seines Kindes zu überzeugen sowie dem Liebesbedürfnis beider Teile Rechnung zu tragen (vgl. insoweit schon BVerfG NJW 1971, 1447, 1448). Das Umgangsrecht ist gemäß Art. 6 Abs. 2 GG ebenso geschützt wie das Elternrecht des betreuenden Elternteils. Können sich die Eltern über die Ausübung des Umgangs nicht einigen, haben die Gerichte die Entscheidung zu treffen, die sowohl die beiderseitigen Grundrechtspositionen der Eltern als auch das Wohl des Kindes berücksichtigt.

Die erstinstanzliche Umgangsregelung dient dem Wohl des Mädchens gemäß § 1684 Abs. 1 BGB am besten, da durch die Regelmäßigkeit und Dauer der Wochenendumgänge und des Ferien- und Weihnachtsumgangs dem Bedürfnis des Kindes und des Antragstellers nach Aufrechterhaltung der Bindung und zusammen verbrachter Lebenszeit hinreichend Rechnung getragen wird.

Maßgebliche Kriterien des Kindeswohls zur Bestimmung des richtigen Maßes an Umgang sind das Alter des Kindes, die Qualität der Bindungen des Kindes zum Umgangsberechtigten, das Verhältnis der Eltern zueinander, die sonstigen Bindungen des Kindes und die Entfernung der Wohnorte der beiden Elternteile (Veit in BeckOK BGB, Hau/Poseck, 54. Ed., Stand 01.11.2019, § 1684 Rn. 29). Der Umstand, dass die Antragsgegnerin einen Wegzug in eine andere Stadt plant, ist für die Umgangsregelung, anders als der Antragsteller meint, ohne Belang. Da eine paritätische Betreuung im Wege des Wechselmodells hier nicht in Betracht kommt und vorliegendes Verfahren ausdrücklich nicht die elterliche Sorge oder Teile von ihr, etwa das Aufenthaltsbestimmungsrecht betrifft, ist für die Kindeswohldienlichkeit der hiesigen Umgangsregelung der für die Sorgerechtszuweisung maßgebliche Kindeswohlgesichtpunkt Kontinuität der räumlichen, sozialen und erzieherischen Verhältnisse (BGH NJW 2016, 2497, Rn. 20) ohne Bedeutung.

Das Alter des Mädchens und der bereits intensiv erprobte Wechsel zwischen den Haushalten der Eltern ermöglichen es, den regelmäßigen Umgang mit jeweils zwei Übernachtungen am Stück anzuordnen und den Sommerferienumgang auf drei Wochen am Stück zu erstrecken. Angesichts der sicheren Bindung und emotionalen Beziehung, die das Kind ausweislich der überzeugenden Darlegungen der Sachverständigen (Bl. 335) zum Antragsteller hat, ist nicht zu befürchten, dass die Vater-Tochter- Beziehung durch die Abkehr von der paritätischen Betreuung Schaden nimmt oder der geplante Umzug der Mutter in eine andere Stadt zum Verlust der sozialen Beziehungen des Kindes am Wohnort des Antragstellers führt.

Wegen der Hochstrittigkeit des Elternkonflikts scheidet ein häufigerer Wechsel des Kindes zwischen den elterlichen Haushalten, etwa ein nachmittäglicher Umgang in der Woche zwischen den Wochenendumgängen, aus. Wegen der bevorstehenden Einschulung des Kindes kommt eine Umgangsübergabe an einem anderen Ort als dem mütterlichen Haushalt noch nicht in Betracht. Die Übergabe zum Umgang direkt im Anschluss an den Schul- oder Schulhortbesuch stellt an ein gerade erst eingeschultes Kind eine erhöhte Anforderung, die im Verhältnis zum Nutzen - die Vermeidung von Teilnahme am Elternstreit - nicht im Verhältnis steht.

Soweit der Hilfsantrag weiter gehend auf einen ständigen "Umgang" des Vaters mit dem betroffenen Kind abzielt, das nur 14-tägig an den Wochenenden und während der hälftigen Ferienzeiten in den Haushalt der Mutter zurückkehren soll, zielt er im Ergebnis auf eine das Aufenthaltsbestimmungsrecht betreffende Sorgerechtsentscheidung ab, die auf diese Weise im Umgangsverfahren nicht zu erreichen ist und allenfalls dem parallel geführten Sorgerechtsverfahren vorbehalten zu bleiben hat.

3.

Die erstinstanzlich ausgesprochenen Anordnungen zum Regelumgang sowie die Ferien- und Feiertagsregelung bedürfen mangels hinreichender Bestimmtheit der Konkretisierung. Der Ausspruch einer Umgangsregelung muss zum Zweck der Vollstreckbarkeit außerdem hinreichend konkrete Angaben hinsichtlich Wochentag und Uhrzeit enthalten (Senat, NJW-RR 2020, 458). Der in Ziffer 2. des Tenors der angefochtenen Entscheidung enthaltene Hinweis auf die Erforderlichkeit einer einvernehmlichen Absprache der Antragsbeteiligten genügt mangels Vorliegens übereinstimmender Erklärungen der Antragsbeteiligten, insoweit keiner gerichtlichen Regelung zu bedürfen, nicht den Konkretisierungsanforderungen. Schließlich wird durch Bezugnahme auf den im Anhörungstermin am 10.10.2018 geschlossenen Zwischenvergleich (Bl. 161) der Umgang während der Weihnachtsferien nicht hinreichend geregelt, da durch die Bezugnahme nur die Tage vom 24.12. bis zum 01.01. erfasst werden. Eine Umgangsregelung für die Osterferien und die Pfingstfeiertage liegt mangels Bezugnahme auf eine konkrete Regelung nicht vor; die mit Zwischenvergleich vom 13.03.2018 getroffene Vereinbarung (Bl. 70) zum Umgang an Ostern und Pfingsten weist keinen konkreten Inhalt auf.

Gemäß § 1684 Abs. 1 BGB ist Ferienumgang des Antragstellers jeweils zur Hälfte der brandenburgischen Schulferien im jährlichen Wechsel anzuordnen. Die Unterordnung sämtlicher Feier- und Geburtstage mit Ausnahme der Weihnachtstage unter den Rhythmus des Ferienumgangs dient der Vermeidung häufiger kurzzeitiger Wechsel des Kindes zwischen den Haushalten der Eltern. Durch den jährlich wechselnden Umgangsrhythmus während der Weihnachtstage und Osterferien ist der Kontakt zwischen dem Antragsteller und seinem Kind zu den hohen Feiertagen hinreichend gewahrt.

Der Sommerferienumgang ist erst ab dem Jahr 2021 zu regeln, da die diesjährigen brandenburgischen Sommerferien bereits begonnen haben und zu befürchten steht, dass es ansonsten aufgrund gegebenenfalls schon getroffener anderweitiger Dispositionen zu weiteren, das Kindeswohl beeinträchtigenden Zerwürfnissen zwischen den Eltern kommen könnte, wenn sie gezwungen wären, ihre bestehenden Planungen kurzfristig ändern zu müssen.

III.

Die Notwendigkeit der Belehrung über die Festsetzung von Vollstreckungsmaßnahmen beruht auf § 89 Abs. 2 FamFG. Die ausgesprochene Konkretisierung der erstinstanzlichen Umgangsregelung führt zu der von § 86 Abs. 1 Ziff. 1 FamFG vorgesehenen Vollstreckbarkeit einer Umgangsanordnung (vgl. BGH BeckRS 2016, 15214, Rz. 11; Zöller/Feskorn, ZPO, 33. Aufl. 2020 § 86 FamFG Rn. 9).

Die Kostenentscheidung beruht auf § 84 FamFG. Zwar hat die Beschwerde teilweise zu einer konkretisierenden Abänderung der angefochtenen Entscheidung geführt; diese Konkretisierung stellt jedoch keinen zur Anwendung der Kostenregelung in § 81 FamFG veranlassenden (Bartels in Bork/Jacoby/Schwab, FamFG, 3. Aufl. 2018 § 84 Rn. 7) Teilerfolg des Antragstellers dar, dessen Beschwerde sich in der Sache auf eine nicht erreichte inhaltliche Abänderung der getroffenen Umgangsregelung gerichtet hat.

Die Festsetzung des Verfahrenswerts beruht auf §§ 55 Abs. 2, 45 Abs. 1 Nr. 2 FamGKG.

Anlass, die Rechtsbeschwerde zuzulassen, besteht nicht (70 Abs. 2 FamFG).

 

Kommentar von doppelresidenz.org

Die Entscheidung ist, nicht nur in Bezug auf die Doppelresidenz, von zahlreichen Widersprüchen geprägt.

Da geht zum einen der Vater vom sexuellen Missbrauch des Kindes durch den neun Partner der Mutter aus, strebt aber gleichzeitig die Doppelresidenz an. Wäre er von seinem Vorwurf überzeugt, könnte er guten Gewissens eigentlich bestenfalls begleiteten Umgang für die Mutter fordern, solange diese mit ihrem neuen Partner zusammenlebt. Sofern der Vater der Mutter vorwirft, eine hochstrittige Situation zu konstruieren, so kann dieser Vorwurf nicht völlig von der Hand gewiesen werden. Jedoch scheint auch der Vater hier durchaus eigene Anteile mit eingebracht zu haben.

Auch die angeführten Entlastungen zu diesem Vorwurf sind kaum schlüssig dargelegt. So ist zu vernehmen, die Mutter sagt aus, dass sie nicht vom sexuellen Übergriff ihres Partners ausgeht – was hätte sie denn sonst sagen sollen, ohne sich selbst zu belasten oder die Beziehung zu gefährden? Von weiteren entlastenden Angaben ist nichts erwähnt, hier bleibt also ein dickes Fragezeichen, welche das Oberlandesgericht selbst hoffentlich im Rahmen des Aktenstudiums aufklären konnte. Denn sonst wäre nur schwer zu erklären, weshalb hier ein Ermittlungsverfahren eingestellt worden wäre.

Leider finden sich im Beschluss keine weitergehenden Ausführungen zu der stärker ausgebildeten Bindungstoleranz der Mutter, hier wird lediglich auf die (nicht bekannten) Ausführungen des Amtsgerichts verwiesen.

Die Entscheidung des OLG erfolgt im schriftlichen Verfahren ohne erneute Anhörung, da Sachverhalt aus Sicht des OLG eindeutig, auch wenn wir dies aus der Begründung des Beschlusses nicht nachvollziehen können.

So ist unklar, weshalb das OLG meint, es wäre umstritten, ob die Doppelresidenz gegen den Willen eines Elternteils angeordnet werden könne. Der BGH hat hier 2017 für die notwendige Klarheit gesorgt und einem Veto-Recht eines Elternteils eine klare Absage erteilt. Letztlich verweist das OLG selbst ja auf den BGH-Beschluss, lässt aber an mehreren Stellen mögliche eigene Vorbehalte, welche bei einigen Teilen der Rechtsprechung noch immer gegen die Doppelresidenz bestehen, durchblicken. Dies nährt Zweifel, ob die Entscheidung gegen ein Betreuungsmodell oder für ein Kind gefällt wurde. Letzteres wäre Auftrag des Gerichtes, ersteres wäre aber leider nicht ungewöhnlich.

In seiner Aufzählung von sechs Faktoren, unter denen das OLG eine Anordenbarkeit der Doppelresidenz unter Berücksichtigung der BGH-Rechtsprechung sieht, lässt leider vermissen, dass der BGH auch diese Faktoren immer im Vergleich zu den Auswirkungen anderer Betreuungsmodelle sieht. Wird also eines der Kriterien nicht erfüllt, bedeutet dies nicht automatisch, dass keine Doppelresidenz angeordnet werden kann, sondern ein solcher Punkt müsste dann, unter Berücksichtigung des Kindeswohlprinzips, im Residenzmodell geringere Auswirkungen auf das Kind haben. So haben zahlreiche andere Gerichte mittlerweile zu Recht auch in hochstrittigen Verfahren die Doppelresidenz angeordnet, wenn diese in Anbetracht des Verhaltens der Eltern die am wenigsten schädliche Alternative ist.

So stützt sich das OLG in seiner Begründung auch lediglich auf „die Feststellung eines der Anordnung des Wechselmodells entgegenstehenden Zerwürfnisses zwischen den Eltern“ unter dem ergänzenden Hinweis, dass es nicht davon abhänge, „zu welchem Anteil jeder Elternteil hierfür die Verantwortung trägt“. Wie schon mehrfach betont, halten wir diese Sichtweise für falsch, gefährlich und sogar kindeswohlschädlich. Wenn ein Elternteil vorsätzlich für eine Zerrüttung des Elternverhältnisses sorgen würde, um sich, das Kind in seiner Obhut habend, daraus einen Vorteil sichern zu wollen, würde dies dem Missbrauch der Sorgeverantwortung des betreuenden Elternteils Tür und Tor öffnen, wenn nicht nach der Verantwortlichkeit für die Zerrüttung differenziert wird. Eine vorsätzliche Schädigung des eigenen Kindes würde auf diese Weise belohnt werden, was eine völlige Umkehr des Kindeswohlprinzips wäre und nicht vom Gesetzgeber beabsichtigt sein kann.

Gerade die dramatischen Darstellungen des Zustandes des Kindes im Beschluss drängen geradezu die Notwendigkeit auf zu ergründen, welcher Elternteil welchen Anteil an Verantwortung für die Eskalation und die bereits eingetretene Schädigung des Kindes trägt. Würde man dies nicht aufklären, bestände die Gefahr, dass das Kind überwiegend bei dem Elternteil lebt, der die Schädigung des Kindes maßgeblich zu verantworten hat. Dies wäre faktisch eine Kindeswohlgefährdung per Gerichtsbeschluss. Gerade bei den zitierten Tendenzen zur Parentifizierung ist es unerlässlich aufzuklären, von welchem Elternteil diese ausgehen, um Schaden vom Kind abzuwenden. Hier ist es durchaus möglich, dass das Oberlandesgericht über entsprechende Erkenntnisse aus dem amtsgerichtlichen Verfahren verfügte und lediglich auf die Darstellung im Beschluss verzichtet hat, was die Transparenz der Entscheidungsfindung leider einschränkt.

Auch die knappe Wiedergabe zur Ermittlung des Kindeswillens im Beschluss lässt zumindest Fragen offen, wenn das Kind einerseits mehrfach geäußert haben soll, gleichviel von beiden Eltern betreut werden zu wollen, andererseits die Sachverständige eine Begründung für ein Mehr an Zeit bei der Mutter daraus ableitet, dass diese nach Angaben des Kindes besser trösten könne. Eine solche Erklärung scheint nur bedingt tragfähig, zumal sich die Neigungen eines Kindes von einem zum anderen Elternteil in dessen Kindheit doch häufig verändern.

Völlig unverständlich werden die Ausführungen des Brandenburgischen Oberlandesgerichts, wenn es meint, für die zu treffende Umgangsregelung wäre es nicht von Bedeutung, dass die Mutter einen Umzug plane. Nach Ansicht des Oberlandesgerichtes wären Kriterien wie räumliche, soziale oder erzieherische Kontinuität lediglich in sorgerechtlichen Verfahren von Bedeutung, nicht aber in Umgangsverfahren. Rechtsdogmatisch mag dies zutreffend sein. Faktisch sollte aber auch dem Oberlandesgericht klar sein, dass mit der hier getroffenen Umgangsregelung auch bereits eine Vorfestlegung für eine im laufenden Sorgerechtsverfahren anstehende Entscheidung getroffen wurde. Mit der Begrenzung des Umgangs lediglich auf die Wochenenden (kein erweiterter Umgang) ist bereits eine Regelung getroffen worden, welche auch über größere Entfernungen praktizierbar ist. Würde der Vater dem Wegzug des Kindes widersprechen, würden zwar die soziale und räumliche Kontinuität geprüft werden. Unter Bezug auf die getroffene Umgangsregelung und das dort manifestierte Betreuungsverhältnis kann man mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit davon ausgehen, dass dasselbe Gericht die Betreuungskontinuität heranziehen würde und einen Obhutswechsel für nicht vertretbar hielte. Hier wäre mehr Klarheit und Transparenz zu wünschen gewesen, ohne sich hinter derartigen juristischen Winkelzügen zu verstecken.

Auch die Ausführungen, weshalb keine längeren Umgänge als Wochenendumgänge möglich sein sollten (wegen der Hochstrittigkeit des Elternkonfliktes), überzeugen nicht. So könnte der Umgang problemlos bereits ein oder zwei Tage früher beginnen oder später enden, ohne dass es dadurch mehr Wechsel gibt. Auch eine wöchentliche Doppelresidenz wäre bei gleicher Anzahl an Wechseln möglich, hier wäre sicherlich die Frage der Bindungstoleranz mit zu werten, inwieweit auch in Bezug auf die Rechtsprechung des BGH eine Ausdehnung von Umgang zumutbar wäre.

Die Einschätzung, dass es an ein gerade erst eingeschultes Kind erhöhte Anforderungen stellen würde, einen Wechsel über die Schule als persönlich zwischen den Eltern zu vollziehen, entbehren jeglicher Grundlage. In schwierigen Elternkonstellationen ist eine der Grundregeln, dass man ein persönliches aufeinandertreffen der Eltern bei Übergaben vermeidet, um die Kinder zu entlasten. Auch dieser Argumentationsversuch scheint darauf abzuzielen, den Umzug der Mutter zu ermöglichen, was im Übrigen für das Kind dann auch einen Wechsel der gerade erst begonnenen Schule und eine zusätzliche Belastung für das Kind bedeuten würde.

Sicherlich gibt ein solcher Gerichtsbeschluss nur selten einen vollständigen Einblick, welche Dynamiken zwischen den Eltern stattfinden und wer welchen Anteil an Problemen und Eskalationen hat. Anteile kann man aus den gemachten Schilderungen bei beiden Elternteilen vermuten. Die Argumentationen des Oberlandesgerichts zur Doppelresidenz jedenfalls können durchweg nicht überzeugen.

Insbesondere lässt sich nicht einmal im Ansatz der vom BGH geforderte Vergleich zwischen den Betreuungsmodellen zur Abwägung der Entscheidung darüber, welches Betreuungsmodell denn nun besser oder schlechter aus Sicht des Kindeswohls geeignet sein könnte, festzustellen. Dieser hätte ergeben können, dass es bei diesen Eltern KEIN gutes Betreuungsmodell für dieses Kind gibt, die Belastungen in der Doppelresidenz aber weniger schädlich hätten ausfallen können, wie es auch zahlreiche, umfangreiche Studien weltweit ergeben haben (vergl. Nielsen, 2018, Joint versus sole physical custody: Outcomes for children independent of family income or parental conflict, Journal of Child Custody). Aufgrund der Begründung des Beschlusses lässt sich zumindest nicht mal im Ansatz feststellen, welches Betreuungsmodell im vorliegenden Fall besser geeignet gewesen wäre.

So bleibt leider ein unschöner Beigeschmack bei dieser Entscheidung. Man kann sich als Leser nur schwerlich des Eindrucks erwehren, dass sowohl das Amtsgericht als auch das Oberlandesgericht mit ihren Entscheidungen für Ruhe sorgen wollten. Für Ruhe vor allem im eigenen Gerichtssaal, denn ein Umzug von Mutter und Kind in einen anderen Gerichtsbezirk würde dafür sorgen, dass man die eigene Akte dauerhaft schließen kann.

Ein solches Verhalten bei Gerichten ist leider viel zu häufig zu beobachten, mit „Kindeswohl“ hat es in der Regel aber nichts zu tun. Egal, ob dem Gericht hier mangelnde Qualifikation, mangelnde Sorgfalt, Vorbehalte gegen die Doppelresidenz oder aber Vorsatz zu unterstellen sei. Die zahlreichen Widersprüche in der Entscheidung lassen zumindest eine nachvollziehbare Orientierung am Kindeswohl nicht erkennen.

 



Zuletzt geändert am 05.02.2021 um 16:47

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