Zwei von fünf Alleinerziehenden beziehen Hartz IV



Familien mit nur einem Elternteil sind die am stärksten wachsende Familienform in Deutschland. Der Staat greife ihnen nicht genug unter die Arme, kritisiert die Bertelsmann-Stiftung.
Simone T. kann nicht mehr arbeiten gehen, seit ihre Tochter Alina auf die Welt gekommen ist. Es klappt einfach nicht mit der Betreuung, erzählt die Kölnerin, die bei der Telefonhotline eines Energieanbieters arbeitet. "In meinem Job war ich früher im Schichtdienst eingeteilt, entweder morgens ab sechs Uhr oder abends bis 23 Uhr – welcher Kindergarten oder welche Krippe soll das sein, die da aufhat?", fragt sie.

Einen Vater, der in dieser Zeit auf die Fünfjährige aufpassen könnte, gibt es nicht, auch keine Großeltern in der Nähe, Babysitter oder Tagesmutter wären für sie viel zu teuer. Einen anderen Job hat Simone T. nicht gefunden. Seit Alinas Geburt bezieht die Mutter deswegen Hartz IV. Einen anderen Ausweg sehe sie momentan nicht, sagt sie.

In etwa jeder fünften deutschen Familie ist nur ein Erwachsener allein für die Kinder verantwortlich, mit steigender Tendenz. Und für sie ist das Armutsrisiko besonders hoch: Rund 40 Prozent aller Alleinerziehenden beziehen Hartz IV – während bei Familien mit zwei Elternteilen nur acht Prozent auf die Grundsicherung angewiesen sind. Die Kinderarmut in der Bundesrepublik sei damit zum großen Teil darauf zurückzuführen, dass die betroffenen Kinder in Familien mit nur einem Elternteil aufwachsen – zu diesem Ergebnis kommt eine Studie im Auftrag der Bertelsmann-Stiftung, die der "Welt am Sonntag" vorliegt.

Kein Zugang zu Freizeitangeboten

"Der Politik gelingt es nicht, die Lebenslage der Alleinerziehenden zu verbessern", sagt Jörg Dräger, Vorstandsmitglied der Stiftung. Die rechtlichen und familienpolitischen Rahmenbedingungen benachteiligten sie systematisch. "Das ist besorgniserregend – auch weil die Zahl der Alleinerziehenden stark gestiegen ist."

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Rund 2,2 Millionen Kinder wachsen demnach mit nur einem Elternteil auf. Familien mit alleinerziehenden Eltern seien die einzige Familienform, die derzeit bundesweit noch Wachstum verzeichnet, schreibt die Autorin der Studie, die Sozialrechtsprofessorin Anne Lenze von der Hochschule Darmstadt.

In fast neun von zehn Fällen sind die Alleinerziehenden Frauen. Häufig stoßen sie an Grenzen, psychisch, körperlich und auch finanziell. "Kinder leiden, wenn finanzielle Sorgen oder Stress den Alltag prägen. Kinder Alleinerziehender sind nicht nur öfter von Armut betroffen. Die Mütter arbeiten auch häufiger in Vollzeit", sagt Stiftungsvorstand Dräger. Für die Kinder bedeutet das häufig, keinen Zugang zu Bildungs-, Kultur- oder Freizeitangeboten zu haben.

Politik könnte Dilemma lösen

Die Lage der Kinder und ihrer Mütter hat sich der Studie zufolge in den vergangenen zehn Jahren noch verschärft. Zum einen, weil seit 2008 geschiedene Alleinerziehende mit Kindern über drei Jahren keinen Anspruch mehr auf BetreuungsUnterhalt vom Ex-Partner haben. Zum anderen, weil die Unterhaltskosten für Kinder zu niedrig angesetzt seien und zudem in jedem zweiten Fall von den Vätern nicht in voller Höhe gezahlt würden.

Dieses Dilemma könne die Politik lösen, indem sie den sogenannten Unterhaltsvorschuss anhebt: Diese staatliche Unterstützung können Alleinerziehende beantragen, wenn der verantwortliche Elternteil nicht zahlt. Bislang jedoch wird die Zahlung maximal sechs Jahre und nur bis zum zwölften Lebensjahr gewährt.

Um die Lage der Alleinerziehenden zu verbessern, empfiehlt die Stiftung unter anderem außerdem, bei der Einkommensteuer einen höheren Entlastungsbetrag einzurichten. Dräger sagt: "Auf diese Weise könnten mehr berufstätige Mütter von dem Geld, das sie verdienen, gut mit ihren Kindern leben."




Zeitung: Die Welt

Zuletzt geändert am 19.05.2015 um 01:28

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