Kindeswohlfremde Anreize und "Hochstrittigkeit"

 

 

Bezeichnend für die aktuelle Gesetzeslage ist, dass an den Status des hauptbetreuenden Elternteils zahlreiche Leistungen geknüpft sind, die Fehlanreize bei der Wahl des Betreuungsmodells setzen können.

Es gilt im Unterhaltsrecht beispielsweise noch das „alles-oder-nichts-Prinzip“. So macht es unter anderem finanziell einen erheblichen Unterschied, ob ein Elternteil zu 45 % oder zu 50 % betreut. Bei 45 % muss er alleine den vollen Unterhalt zahlen, ebenso wie ein Elternteil, der sich gar nicht um seine Kinder kümmert. Bei 50 % müssen sich beide Eltern im Verhältnis ihrer Einkommen am Barunterhalt
beteiligen. Dies könnte eine Erklärung dafür sein, weshalb viele auch gerichtlich angeordnete Betreuungsmodelle zwar 40 oder 45 % Betreuungszeit vorsehen, nicht jedoch 50 %.

Dies sind kindeswohlfremde Anreize, die seitens des Gesetzgebers kaum beabsichtigt sein können. Sie provozieren Streit um die Betreuungszeiten der Kinder. Aus denselben Gründen wurde 2016 ein Gesetzesentwurf zur Neuregelung der temporären Bedarfsgemeinschaften zurückgezogen – die geplanten Änderungen hätten zu massiven Streitigkeiten der Eltern um Betreuungszeiten geführt.

Ebenso hat der Elternteil, bei dem das Kind seinen „überwiegenden Aufenthalt“ hat, die Alleinentscheidungsbefugnis in Erziehungsfragen des Alltags (§ 1687 BGB), also z. B. in welchen Verein das Kind geht oder welchen Schwimmkurs es besucht. Eine gleichberechtigte Elternschaft wird durch diese Regelung bereits per Gesetz ausgeschlossen. Auch die Praxis einiger Gerichte, im Falle von Streit die Doppelresidenz abzulehnen oder die gemeinsame Sorge aufzuheben, führt häufig erst dazu, dass der Elternteil, der den überwiegenden Betreuungsanteil innehat, einen Anreiz erhält, Streit zu provozieren.

Zukünftig sollte zum einen geprüft werden, inwieweit sich der Streit auf die Kinder auswirkt, zum anderen aber auch, inwiefern sich ein solcher Streit durch eine gerichtliche Entscheidung beeinflussen lässt. Haben beispielsweise die Eltern Kommunikationsprobleme, so werden diese nicht gelöst, indem das Gericht die Betreuungszeiten um ein oder zwei Tage verändert – die Eltern müssen trotzdem
im Rahmen der Wechsel kommunizieren. Kommunikations- und Kooperationsverweigerung oder -unfähigkeit ist eine erhebliche Einschränkung der Erziehungsfähigkeit und sollte auch als solche gewertet werden. Ein solches Verhalten eines Elternteils belastet das Kind.

In solchen Fällen sollte stärker als bisher geprüft werden, welcher Elternteil versucht, den Konflikt zu vermeiden, den Konsens sucht oder Schritte zur positiven Veränderung einleitet. Eine Differenzierung zwischen den Eltern ist in solchen Fällen unerlässlich und kann einen aktiven Beitrag dazu leisten, den Streit zwischen den Eltern zu deeskalieren. Hier ist das Bewusstsein und das aktive Handeln
aller beteiligten Professionen gefordert, denen gerade in „hochstrittigen“ Fällen eine große Verantwortung zukommt. Richtige Interventionen können die Kinder schützen und entlasten. Falsche Interventionen verschärfen und verlängern den Streit und können zu dauerhaften Schädigungen der Kinder führen (sekundäre Kindeswohlgefährdung durch beteiligte Professionen).

Einen Ansatz, wie auch mit schwierigen Elternpaaren gearbeitet werden kann, liefert der „Leitfaden für die Arbeit mit hochstrittigen Eltern“ der Warendorfer Praxis. Dort wurden in interdisziplinärer
Zusammenarbeit Lösungsansätze aus der Praxis für die Praxis entwickelt, die Kindern beide Eltern erhalten und den elterlichen Streit oftmals besser als die bisher häufig angewandten Beratungsansätze
eindämmen können.

Untenstehende Tabelle mag zur raschen Einschätzung eines hochstrittigen Konflikts eines Elternpaares beitragen und der Versachlichung dienen. Bei einem eskalierten familiengerichtlichen Streit kann die Tabelle den Eltern auch der Selbsteinschätzung dienen.

 
 

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