Ablehnung Doppelresidenz wegen kontinuierlichem Willen des Kindes


OLG Dresden
Aktenzeichen: 20 UF 858/16 vom 08.02.2017
Veröffentlicht in

 

Tenor / Inhalt der Entscheidung

Doppelresidenz kann bei erklärten Willen des Kindes, dies nicht zu wünschen, nicht angeordnet werden.

Bei strittigen Eltern ist einem "eindeutigem Erziehungsschwerpunkt" der Vorzug zu geben.

 

Kommentar von doppelresidenz.org

Bei der Entscheidung war ursprünglich über den Aufenthalt zweier Kinder zu entscheiden. Nachdem sich der 16-jährige J für eine Beibehaltung der Doppelresidenz ausgesprochen hat, war nur noch über die 10-jährige L. zu entscheiden.

Wie dem Beschluss unter 2 zu entnehmen ist, hat der Vater anscheinend Argumente vorgebracht, welche aus Gründen des Kindeswohls eine grundsätzliche zu prüfende Vorrangstellung der Doppelresidenz begründen sollten. Dieser aufgrund der vorliegenden wissenschaftlichen Erkenntnisse durchaus nachvollziehbaren Einschätzung wollte der Senat nicht folgen. Dabei stellt der Senat nicht die Erkenntnisse in Frage, sondern beruft sich lediglich auf die Feststellung des BVerfG (1 BvR 486/14 vom 24.06.2015), dass der Gesetzgeber nicht dazu verpflichtet sei, ein paritätisches Doppelresidenzmodell als Regelfall vorzusehen. Dies hat aber nichts damit zu tun, dass die Doppelresidenz aus Kindeswohlgründen zu bevorzugen sei – der reine verfassungsmäßige Bezug wird hier der anscheinend vorgebrachten, kindzentrierten Argumentation nicht gerecht.

Wie ausgeprägt der Wille des Kindes, überwiegend bei seiner Mutter leben zu wollen, tatsächlich war, lässt sich anhand des Beschlusses natürlich schwerlich beurteilen. Zumindest ist aber ersichtlich, dass das Kind seinen Vater auch umfangreich besuchen wollte – grundlegende Probleme im Kontakt zum Vater scheinen also nicht bestanden zu haben. Aufgrund des Altersunterschiedes wurde das Thema Geschwisterbindung als weniger bedeutend angesehen, zumal auch durch die gefundenen Betreuungsregelungen der intensive Kontakt zwischen den Geschwistern gewahrt blieb.

Neben dem Willen des Mädchens stellt der Senat auf einen „eindeutigen Erziehungsschwerpunkt“ ab, der aus Sicht des Senats bei strittigen Eltern wichtig wäre. Ob der Senat, bestehend aus drei Juristen, hierfür qualifiziert gewesen sein könnte eine solche Feststellung zu treffen ich nicht ersichtlich, darf aber bezweifelt werden. Worauf der Senat diese Einschätzung stützt, ist nicht ersichtlich und auch wissenschaftlich nicht belegbar. Das Gegenteil ist der Fall. Anscheinend hat der Senat hier ein eigenes entwicklungspsychologisches Konstrukt geschaffen und zur Begründung herangezogen.

Auch stellt er bezüglich der Erziehungsstile auf „beträchtliche Anpassungsleistungen“ des Kindes bei Wechsel zwischen den Eltern in der Doppelresidenz ab. Im gleichen Zuge wird jedoch ein 5/9-Betreuungsmodell gutgeheißen, welches zwar einen „Erziehungsschwerpunkt“ bietet, aber dieselbe Anzahl an Wechseln und damit Anpassungsleistungen beinhaltet und das Kind immer noch zwei Erziehungsstile erleben lässt. Welche Einschätzung der Verfahrensbeistand abgegeben hatte ist dem Beschluss nicht zu entnehmen.

Fazit
 

 

Die Argumentation des OLG überzeugt nicht. Zum einen gibt es keinen belegbren Anhaltspunkt für die Notwendigkeit eines „eindeutigen Erziehungsschwerpunktes“, zum anderen hat das Kind diese zwei Schwerpunkte auch mit der angestrebten Umgangsregelung, in der es zu 37% bei Vater lebt (ohne Berücksichtigung der Ferienregelung). Die Kenntnis vorliegender wissenschaftlicher Erkenntnisse hätte das Gericht möglicherweise zu einer anderen Einschätzung kommen lassen.

 


Zuletzt geändert am 25.02.2018 um 14:12

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