Alleinige Ausübung der Sorge im Falle gemeinsamen Sorgerechts getrennt lebender Eltern nach § 1671


OLG Frankfurt am Main
Aktenzeichen: 1 UF 283/16 vom 10.10.2017
Veröffentlicht in Hessenrecht - Landesrechtsprechungsdatenbank

 

Tenor / Inhalt der Entscheidung

Leitsatz von doppelresidenz.org

 

 

Für die die Ablehnung einer Doppelresidenz begründende Annahme eines unüberbrückbaren Dissenses zwischen den Eltern ist es ausreichend, wenn ein Elternteil die Doppelresidenz ablehnt.

Zur Sachlage

 

 

Zwischen den Eltern bestanden seit längerem diverse Meinungsverschiedenheiten bezüglich der Gesundheitssorge und der konkreten Ausgestaltung der Umgangsregelung.

Die Entscheidung zur Schulwahl traf die Mutter entgegen der gemeinsamen elterliche Sorge und ohne gerichtliche Zustimmung eigenmächtig, ebenso änderte sie Abholzeiten aus der Schule ab und versuchte, den Vater aus schulischen Aktivitäten des Kindes herauszuhalten. Der Vater strebte eine paritätische Doppelresidenz an. Das Amtsgericht übertrug die sorgerechtlichen Teilbereiche Aufenthaltsbestimmungsrecht, schulische Angelegenheiten und Gesundheitssorge allein auf die Mutter. Es fehle an der tragfähigen Beziehung zwischen den Eltern und die Kontinuität spreche für die Mutter.

Die Entscheidung des OLG Frankfurt

 

 

Der Verfahrensbeistand sprach sich dafür aus, den Vater, entgegen den Vorstellungen der Mutter, stärker in die Betreuung und auch schulische Förderung des Kindes sowie in die Gesundheitssorge einzubinden. Das Kind könne hiervon profitieren. Das Verhalten der Mutter sei insbesondere nach Übertragung der sorgerechtlichen Teilbereiche eher auf weitere Eskalation mit dem Vater ausgelegt. Die Schulischen Leistungen des Kindes hätten mittlerweile nachgelassen.

Das OLG Frankfurt änderte die amtsgerichtliche Entscheidung insoweit ab, dass das Aufenthaltsbestimmungsrecht und das Recht zur Gesundheitsfürsorge weiterhin bei der Mutter verblieb, das Recht zur Regelung der schulischen Angelegenheiten zukünftig jedoch wieder von beiden Eltern gemeinsam ausgeübt werden soll.

Für die Anordnung einer paritätischen Doppelresidenz sah der Senat aufgrund der Streitigkeiten der Eltern keinen Raum:

„Für die Annahme eines unüberbrückbaren Dissenses bei der Wahrnehmung des Aufenthaltsbestimmungsrechts, der der gemeinsamen Ausübung dieses Teilbereichs der elterlichen Sorge entgegen steht, genügt es indessen, wenn der das Kind überwiegend betreuende Elternteil mit seinem Sorgerechtsantrag durch die Festschreibung des Residenzmodells Rechtssicherheit herbeiführen und einem bisher nur faktischen Zustand eine rechtliche Grundlage verleihen möchte, der den Umgang ausübende Elternteil diesem Betreuungsmodell aber ablehnend gegenübersteht“.

Rechtssicherheit können aus Sicht des OLG ausschließlich durch eine Fortführung des von der Mutter präferierten Residenzmodells geschaffen werden.

 

Kommentar von doppelresidenz.org

Das OLG hat hier eine Anleitung zum Missbrauch gegeben. Allein durch die Nicht-Kooperation und auch von der Verfahrensbeiständin festgestellten Eskalation des Elternkonfliktes durch die Mutter hat sie in diesem Fall durch die Belastung ihres eigenen Kindes gewonnen. Deeskalation oder gar Kooperation wird damit gerade verhindert. Das OLG muss sich hier den Vorwurf gefallen lassen, durch sein unbedachtes Handeln gerade nicht dem Kindeswohl gedient, sondern diesem noch zusätzlich geschadet zu haben.

Indem das OLG in seiner Entscheidung davon ausgeht, dass bereits die Ablehnung der Doppelresidenz durch einen Elternteil ausreichen würde, um einen „unüberbrückbaren Dissens“ bei der Wahrnehmung des Aufenthaltsbestimmungsrecht anzunehmen, stellt sich das OLG deutlich gegen die Rechtsprechung des BGH und kehrt damit zu seiner, im Beschluss ebenfalls erwähnten, früheren Rechtsprechung zurück, die einem Elternteil faktisch ein alleiniges Vetorecht einräumt. Das OLG hat aber eine Überprüfung durch den BGH, trotz seiner Abweichung von dessen Rechtsprechung, mangels Zulassung der Rechtsbeschwerde bereits ausgeschlossen. Inwiefern dies noch mit rechtsstaatlichen Prinzipien vereinbar ist erscheint fraglich.

Diese Entscheidung verdeutlicht, dass das OLG Frankfurt sich ganz offensichtlich der bestehenden Problematiken nicht bewusst war. Diese lagen nicht im Umgangsmodell. Die Eltern lebten auf gerichtliche Anordnung ein Betreuungsmodell mit vielen Wechseln und erstaunlich vielen persönlichen Übergaben, selbst nach einer entsprechenden Modifizierung. Von keiner Seite wurde vorgetragen, dass die Umgänge tatsächlich ein Problem wären, lediglich die Übergabesituationen boten Belastungspotential für das Kind.

Problem waren vor allem Abstimmungen und Einigungen zwischen den Eltern. Wenn der Senat befürchtete, dass bei Anordnung der Doppelresidenz weitere Folgefragen bzgl. Kindergeld etc. entstanden wären so wäre er nicht gehindert gewesen, solche Fragen in der Verhandlung anzusprechen und zur Vermeidung von weiteren Konflikten notfalls zu regeln.

Weshalb dem Wunsch des Vaters, Elternteil auf Augenhöhe sein zu wollen, seitens des OLG derart negativ entgegengehalten wurde, ist nicht nachvollziehbar, denn gerade die gelebte Dysbalance zwischen den Eltern hat vielfach, wie auch vom Verfahrensbeistand festgestellt, zur Verschärfung des Konfliktes gefällt. Jedem Mediator dürfte die notwendige Augenhöhe zur Konfliktlösung bekannt sein. In der richterlichen Ausbildung wird dies bisher nicht berücksichtigt. Der Vater strebt ausdrücklich keine Vormachtstellung als Elternteil an – anders als die Mutter, die diese Machtstellung nachweislich bereits in nicht kindeswohldienlicher Weise ausgenutzt hatte. Ihre eigenmächtige Schulwahl, immerhin ein Verstoß gegen die gemeinsame elterliche Sorge, hatte in keiner Weise Konsequenzen.

Auch kann man sich des Eindrucks nicht erwehren, dass die Ablehnung der Doppelresidenz sich auch verstärkt an rechtlichen Vorbehalten und weniger am Kindeswohl orientierte. Hier hätte die Anordnung einer verbindlichen Umgangsregelung, vor allem mit weniger Wechseln, dem Kind vermutlich deutlich mehr geholfen als die vorliegende Entscheidung.

Es bedarf nur wenig Fantasie sich vorzustellen, dass diese Entscheidung die Konflikte zwischen den Eltern nicht reduzieren wird, da das Grundproblem, die mangelnde Akzeptanz der Bedeutung des Vaters für das Kind, weiterhin besteht und durch die gerichtliche Entscheidung sogar verschärft wurde.

 


Zuletzt geändert am 10.01.2019 um 21:15

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