Auflösung der gemeinsamen elterlichen Sorge und Beendigung der Doppelresidenz wegen Streit der Eltern


OLG Dresden
Aktenzeichen: 18 UF 1003/17 vom 08.02.2018
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Tenor / Inhalt der Entscheidung

Nach der Trennung der Eltern wandte sich der Vater hilfesuchend an das Jugendamt, da die Mutter ständig Vereinbarungen, die unter Vermittlung des Jugendsamtes zustande gekommen sind, abändere. Nach Ansicht des Jugendamtes stelle dies eine unmittelbare Gefährdung des Sohnes durch den Elternkonflikt dar.

Die Mutter beantragte die Übertragung des alleinigen Sorgerechtes auf sie. Das Verfahren endete mit einem Vergleich, bei dem die Betreuung in Doppelresidenz vereinbart wurde.

Eine anschließende Elternberatung wurde erst abgebrochen und konnte nur durch die Gefährdungsmeldung des Jugendamtes und der Androhung sorgerechtlicher Konsequenzen zum Ende geführt werden. Die Doppelresidenz wurde fortgeführt.

Ein halbes Jahr später beantragte das Jugendamt erneut die Einleitung eines Verfahrens aufgrund einer Kindeswohlgefährdung, da die Konflikte zwischen den Eltern unvermindert fortgesetzt wurden und die Eltern sich nicht über Dinge des Sohnes betreffend einigen könnten. Ihr Verhältnis sei ausschließlich durch Vorwürfe und Anschuldigungen geprägt.

Das Amtsgericht holte ein Sachverständigengutachten ein, da beide Eltern die Übertragung der alleinigen elterlichen Sorge auf sich beantragten.

Das Gutachten kam zu dem Schluss, dass die Doppelresidenz aufgrund der hohen Konflikte nicht weitergeführt werden könne. Das Kind solle im Haushalt der Mutter leben, da es „eine etwas stärkere Bindung an die Mutter“ habe. Die Erziehungsfähigkeit des Vaters stehe nicht infrage. Die der Mutter konnte nicht untersucht werden, da sie sich der Begutachtung entzog. Lediglich die Bindungstoleranz sei bei beiden Eltern eingeschränkt. Es sei davon auszugehen, dass beide Eltern das Kind beeinflussen würden, was dauerhaft eine „Gefährdung der emotionalen und psychischen Entwicklung des Kindes“ bedeuten würde, weshalb eine befristete Übertragung der elterlichen Sorge auf einen Vormund empfohlen wurde. Jugendamt und Verfahrensbeistand schlossen sich dieser sachverständigen Einschätzung an.

Das Amtsgericht übertrug in der Folge die elterliche Sorge auf die Mutter, lediglich das Umgangsrecht wurde beiden Eltern entzogen und auf einen Ergänzungspfleger übertragen.

Der Vater legte gegen diese Entscheidung Beschwerde ein und kritisierte insbesondere die aus seiner Sicht Mangelhaftigkeit des Gutachtens. Die Mutter trug vor, die Situation des Kindes hätte sich verbessert und wandte sich außerdem gegen die aus ihrer Sicht unverhältnismäßige Entziehung des Umgangsbestimmungsrechtes.

Das Oberlandesgericht änderte die Entscheidung des Wunsches der Mutter entsprechend ab und übertrug ihr auch noch das Umgangsbestimmungsrecht, somit also die gesamte elterliche Sorge, zur alleinigen Ausübung. Es sei zu erwarten, dass der Streit um Dinge des Alltags durch Übertragung der Alleinsorge reduziert und damit die Belastung für das Kind vermindert werde.

Das Gericht führte dazu aus: „Auch bei völlig gleicher Eignung der Eltern und gleichen Bindungen des Kindes kann in einem Fall, der so hoch konflikthaft ist wie der vorliegende, das Kind nur bei einem Elternteil leben.“

Im Vorfeld wurde mit dem Ergänzungspfleger bereits eine Vereinbarung zum Umgang alle 14 Tage von Donnerstag bis Montag getroffen.

 

Kommentar von doppelresidenz.org

Diese Entscheidung reiht sich leider ein in eine lange Reihe von Fehlentscheidungen. An der Situation zwischen den Eltern hat sich durch die Entscheidung rein gar nichts geändert. Sie werden sich vermutlich auch weiterhin gegenseitig kritisieren und vor den Kindern abwerten, die Mutter nun noch mit der Verfügungsmacht der Alleinsorge. Diese Disbalance zwischen den Eltern ist dazu geeignet, den Konflikt weiter anzufeuern.

Auch die Einschätzung der Einschränkung der Bindungstoleranz beider Eltern gibt erheblichen Anlass zur Sorge. Mit der nun veränderten Umgangsregelung wirkt sich dies zunehmend einseitig, hier zu Lasten des Vaters, aus. Es wäre daher wenig überraschend, wenn in einigen Monaten der Wunsch nach einer weiteren Kontaktreduzierung durch die Mutter aufkommt und mit der Zeit der Kontakt zum Vater ganz abbrechen würde, mit den bekannt folgenschweren Auswirkungen für das Kind.

Auch der Entscheidungsgrund einer „etwas stärkeren Bindung an die Mutter“ kann nicht überzeugen. Zum einen ist Bindung nicht an Prozent-Sätzen als absolutes Kriterium messbar. Zum anderen sind Bindungen eine dynamische Größe, die sich im Laufe der Entwicklung von Kindern, auch zwischen den Eltern, permanent verändert. Die gerichtliche Entscheidung gefährdet jedoch eine gesunde Bindungsentwicklung des Kindes zwischen seinen Eltern mindestens genauso viel wie das defizitäre Verhalten der Eltern.

Eine typisch juristische Sichtweise ist, dass in einer solch hochkonflikthaften Situation das Kind nur bei einem Elternteil leben könne. Tatsache aber ist, dass das Kind wird auch weiterhin bei beiden Eltern leben, aufgrund der getroffenen Umgangsregelung zu rund 30% auch beim Vater. Dies zeigt aber wieder einmal, dass die häufige juristische Sicht, ein Kind würde nur bei exakt 50% Betreuungszeit bei beiden Eltern leben, mit der Lebensrealität von Kindern und dem gesunden Menschenverstand nicht im Einklang steht.

Fraglich war, weshalb die Weigerung der Mutter, sich an der Begutachtung zu beteiligen, nicht thematisiert wurde, zumal auch der Vater vortrug, dass die Mutter gemeinsame Einigungen blockieren würde. Sollte dies stimmen, hätte die Mutter auf Kosten der Gesundheit der Kinder mit Hilfe des Gerichtes den Trennungskampf für sich entschieden.

Was aber hätte man machen können?

Das Problem war im vorliegenden Fall erkennbar nicht das Betreuungsmodell. Die Doppelresidenz war hier vielmehr der Garant dafür, dass zwischen den Eltern eine gewisse Augenhöhe herrschte. Eine Veränderung des Umgangs verbessert an der Situation mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit nichts.

Gleiches gilt für die Aufhebung der gemeinsamen elterlichen Sorge. Dies ist Öl ins Feuer des elterlichen Streits. Der Vater, welcher als Verlierer des Verfahrens gilt und die Mutter als Gewinnerin. Beides keine gute Basis für eine gemeinsam auszuübende Elternschaft, denn trotz der Übertragung der Alleinsorge müssen sich die Eltern weiterhin über Belange des Kindes abstimmen, um die Umgänge gestalten zu können.

Und hier wäre auch der eigentlich vom Gericht anzustrebende Ansatz gewesen. Mehrfach wurde im Verfahren auf eine Gefährdung des Kindeswohles hingewiesen. Das Gericht hätte daher auch Maßnahmen nach §1666 BGB ergreifen können. Den Eltern hätte zur Auflage gemacht werden können, Erziehungshilfen zur Verbesserung ihrer Kommunikation in Anspruch zu nehmen. In der Zwischenzeit hätte die elterliche Sorge auf einen Ergänzungspfleger übertragen oder anstehende Einzelentscheidungen nach §1628 BGB geklärt werden können.

Im dann folgenden Hilfeprozess hätte, unter fachkundiger Aufsicht, dargelegt werden können, welcher Elternteil sich um eine Einigung bemüht, wer fähig und willens ist, sich um eine sachliche und kindzentrierte Kommunikation zu bemühen. Hier hätten beide Eltern eine Motivation gehabt, ihr Handeln ernsthaft zu überdenken und, soweit es ihnen abseits von pathologischen Einschränkungen möglich ist, auch zu verändern. Die Motivation wäre die Rückerlangung der elterlichen Sorge und der Eigenverantwortung gewesen. Wären beide Eltern willens und fähig, würde sich im Ergebnis die gemeinsame Sorge ergeben. Wenn nicht, müssten Teile der Sorge unter Umständen beim Ergänzungspfleger verbleiben oder per gerichtlicher Einzelentscheidung geklärt werden.

Letztendlich wäre es auch möglich, durch eine sehr konkret gefasste Umgangsvereinbarung, welche den Eltern ein handeln oder unterlassen aufgibt (Krankenkassenkarten, wann wo abholen, wie ist zu kommunizieren, Stichwort Umgangsbuch etc.), Streitpotential aus der Elternebene zu nehmen.

Würden die Eltern hiergegen verstoßen, wäre die konsequente Verhängung von Ordnungsgeldern oder Ordnungshaft adäquate Maßnahmen, um die Eltern zu angemessenem Verhalten zum Schutze ihrer Kinder anzuhalten. Sollte hier ein Elternteil besonders häufig auffallen, dann könnte die Frage der elterlichen Sorge natürlich erneut gestellt werden – zum jetzigen Zeitpunkt nach dem bisherigen Ablauf war dies allerdings kontraproduktiv.

 



Zuletzt geändert am 22.12.2019 um 11:28

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