Das Wohl der Kinder hängt nicht vom Betreuungsmodell ab



Seit vielen Jahren wird häufig leider sehr emotional und abseits von Fakten darum gestritten, wann Eltern und Kinder eine Doppelresidenz (Wechselmodell) leben können und wann nicht.

Häufig war zu beobachten, dass an die Doppelresidenz sehr hohe Ideal-Anforderungen gestellt wurden, welche sicherlich wünschenswert sind, aber in der Realität von vielen Eltern so nicht gewährleistet werden können (oder wollen).

Was hier insbesondere von den engagierten Gegnern und Gegnerinnen nur nie thematisiert wurde: unter welchen Voraussetzungen sind denn andere Betreuungsmodelle gut und förderlich für Kinder?

Auf einer Veranstaltung des Verband alleinerziehender Mütter und Väter (VAMV) am 13. November 2019 in Berlin wurden von Herrn Dr. Stefan Rücker, Leiter der Forschungsgruppe PETRA, als positive Bedingungen für eine Doppelresidenz unter anderem folgende Faktoren genannt:

  • Einvernehmen der Eltern
  • Geringes Konfliktniveau
  • Eine gute Kommunikation
  • Wohnortnähe

Auf Nachfrage von doppelresidenz.org, was denn die positiven Bedingungen für das Residenzmodell wären gab es eine klare Antwort:

Für ein positives Gelingen des Residenzmodells braucht es dieselben Rahmenbedingungen wie für das Wechselmodell (Doppelresidenz)

 

Können (oder wollen) die Eltern ihren Kindern diese Rahmenbedingungen nicht bieten, dann leiden darunter. Unbestritten ist jedoch, dass die Doppelresidenz selbst bei schwierigen Rahmenbedingungen und Streit der Eltern die Kinder häufig weniger belastet als das Residenzmodell. (siehe u.a. hier)

In der Diskussion um Betreuungsmodelle sind wir jetzt also an dem Punkt angekommen, an dem wir abseits von Ideologien tatsächlich darauf schauen können, wie wir Eltern dazu verhelfen, gemeinsam für ihre Kinder da sein zu können.

Und auch dazu sei eine Aussage von Herrn Dr. Rücker zitiert:

Der Zugang des Kindes zu beiden Eltern stärkt das Kindeswohl.

 

Der Haken an der Sache: zwei Erwachsene wollen sich trennen. Über die gemeinsamen Kinder sind sie aber untrennbar miteinander verbunden sind. Wut, Hass, Angst oder Enttäuschungen, dies alles sind starke Gefühle und Emotionen. Das Kind gerät als unvermeidliches Bindeglied damit unweigerlich in den Fokus der Differenzen zwischen den Erwachsenen, wenn diese ihre Emotionen nicht im Griff haben oder nicht erkennen können oder wollen, was dieser Konflikt bei ihren Kindern auslöst.

 

Der Umgang ist nicht das Problem

 

 

Wenn es dann heißt „es gibt Probleme mit dem Umgang“, dann ist diese Aussage in den meisten Fällen falsch und geht an der eigentlichen Ursache vorbei. Richtig müsste es heißen: die Eltern haben ihre Konflikte noch nicht gelöst, und dies wirkt sich auf das Kind aus. Hinzu kommt, dass Eltern die Probleme häufig viel schlimmer als die Kinder wahrnehmen. Auch dies ist eine Erkenntnis, die mehrfach in Studien festgestellt wurde.

An die Professionen, die mit den Eltern arbeiten (Beratungsstellen, Jugendamt, Mediatoren, Gerichte etc.) kann der Apell eigentlich nur lauten, nicht nur auf das zu schauen, was die Eltern vortragen, sondern zu ergründen, warum und aus welcher emotionalen Situation und Motivlage heraus Aussagen und Vorwürfe entstanden sind. Viel zu häufig wird versucht, an den Symptomen zu arbeiten, ohne die Ursachen zu ergründen. Um dies zu ändern, brauchen wir ein Umdenken in der Beratungslandschaft, um getrennte Familien nicht durch häufig erfolglose und im schlimmsten Fall nur noch zusätzlich belastende Beratungsangebote zu lotsen.

Und manchmal kann es auch gut sein, streitenden Eltern im ersten Schritt eine Ruhepause zu verschaffen, indem schnell klare Regelungen gefunden werden, die Eltern entspannen, sich auf die neue Situation einstellen und jeder für sich für ihre Kinder da sein können - notfalls erst einmal in paralleler Elternschaft. Es heißt ja immer „die Zeit heilt alle Wunden“ und auch wenn dies sicher nicht für alle Fälle zutreffen mag, so würde es vielen Eltern helfen, nach einer gewissen Zeit, in der etwas Gras über die Trennung gewachsen ist, entspannter an die Aufgabe gehen zu können, die neue Elternbeziehung, abseits der vorherigen Paarbeziehung, zu definieren.

 

Ein wichtiges Signal: ihr bleibt beide Eltern!

 

 

Bis dahin ist es aber wichtig, dass beide Eltern die Gewissheit haben, weiterhin auch geliebte Eltern für ihre Kinder bleiben zu können, in ihrer Rolle als Mutter oder Vater nicht infrage gestellt zu werden. Sie müssen Eltern sein und Eltern bleiben – auf Augenhöhe, damit nicht ein Elternteil zu Lasten des anderen negativ auf das Kind einwirkt.

Der heutige 15. November 2019 bietet dafür eine gute Voraussetzung. Vor genau 25 Jahren wurde das Grundgesetz geändert und der Artikel 3 um folgenden Absatz 2 ergänzt:

„Der Staat fördert die tatsächliche Durchsetzung der Gleichberechtigung von Frauen und Männern und wirkt auf die Beseitigung bestehender Nachteile hin.“

 

Wo bisher nur ein (alleinerziehender) Elternteil gesehen wird, muss dieser Grundsatz auch im Kindschaftsrecht seine Geltung entfalten. Abgewichen werden muss, wenn ansonsten das Wohl des Kindes gefährdet wäre. Hier muss der Staat eingreifen (Art. 6 GG) und Regelungen zum Schutz des Kindes treffen.

Die Diskussion um Leitbilder oder Regelfälle wird häufig wider besseren Wissens mit dem angstbesetzen, negativen Bild des Zwangs für alle geführt. Dies hat niemand jemals gefordert und kann auch niemand ernsthaft beabsichtigen. Es geht lediglich um eine grundgesetzkonforme Auslegung des Familienrechtes (Art. 3 (2) GG, Art. 6 GG, §1626 BGB u.a.) sowie um eine Verwirklichung der Rechte der Kinder. Art. 18 der auch von Deutschland ratifizierten UN-Kinderrechtskonvention, welche in diesen Tagen 30-jähriges Jubiläum feiert, besagt:

„Die Vertragsstaaten bemühen sich nach besten Kräften, die Anerkennung des Grundsatzes sicherzustellen, dass beide Elternteile gemeinsam für die Erziehung und Entwicklung des Kindes verantwortlich sind. Für die Erziehung und Entwicklung des Kindes sind in erster Linie die Eltern oder gegebenenfalls der Vormund verantwortlich. Dabei ist das Wohl des Kindes ihr Grundanliegen."

 

Hier wird ein Leitbild aus Sicht der Kinderrechte formuliert, welches sich so auch in der Resolution 2079 (2015) der Parlamentarischen Versammlung des Europarates wiederfindet, genau wie in Art. 6 GG und §1626 BGB. Alle Regelungen sehen ausdrücklich Ausnahmen vor, zum Beispiel in Fällen von Gewalt, Vernachlässigung oder anderen, das Kind negativ in seiner Entwicklung nachhaltig beeinflussenden Faktoren. So hätten alle Eltern bei der Entscheidung darüber, wie ihre Kinder auch nach einer Trennung von ihnen betreut werden, eine größtmögliche Entscheidungsfreiheit auf Augenhöhe.

Es würde folglich auch in der Hand der Eltern liegen, negative Einflussfaktoren auf das Kind zu vermeiden. Gewalt, Entfremdendes Verhalten, Vernachlässigung und andere wären Faktoren, welche sich bei der Wahl des Betreuungsmodells zum Nachteil desjenigen Elternteils auswirken würden, der die Verantwortung dafür trägt und dadurch sein Kind belastet.

Beide Eltern wären damit motiviert, sich kindgerecht zu verhalten. Sie wären motiviert, bestehende Defizite einzeln oder auch gemeinsam aufzuarbeiten und die Emotionen der Trennung zu bewältigen. Denn bis auf wenige Ausnahmen werden Eltern das Beste für ihr Kind wollen. Darin sollten sie unterstützt werden – besser als dies bisher der Fall ist.

 

Wo ist der rechtliche Rahmen zur Deeskalation?

 

 

Den Rahmen dafür muss der Gesetzgeber schaffen. Wo er bisher mit einem kontradiktorischen Familienrecht Streit provoziert und die Eltern in einen häufig eskalierenden Wettbewerb treibt, wer der bessere Elternteil ist oder wer die Verfügungsgewalt über das Kind innehat, sollten zukünftig echte Anreize zur Einigung und Deeskalation gesetzt werden.

Leider lassen die vor einigen Tagen veröffentlichten Thesen einer Expertengruppe aus dem Bundesjustizministerium bisher nicht auf entsprechende Änderungen hoffen. Wie die ersten Reaktionen zeigen, stoßen diese juristischen Thesen auf erhebliches Unverständnis vor allem bei denjenigen, die den Eltern zu einer Einigung und Lösung zu verhelfen. Die Lösung wird nicht aus dem juristischen Bereich kommen wird. Gesetze und Gerichte müssen aber den anderen Professionen den Rahmen stellen, damit Beratung und Unterstützung ihre Wirkung entfalten können.

Die Doppelresidenz wird dann deutlich häufiger als noch heute die Lösung der Eltern selbst sein, wenn beide dies aufgrund ihrer persönlichen Umstände realisieren können. Und Kinder hätten einen deutlich besseren Zugang zu beiden Eltern - was dem Kindeswohl dient (siehe oben)

 

Deutschland: bei Entfremdung führend, beim Erhalt beider Eltern für Kinder Schlußlicht

 

 

Auf der oben zitierten Veranstaltung zur Doppelresidenz gab es auch einen Vortrag von Frau Dr. Alexandra Langmeier vom Deutschen Jugendinstitut. Dort wurde festgestellt, dass Deutschland in Europa das Land mit der geringsten Wechselmodellquote ist; gleichzeitig aber auch das europäische Land, in dem Kinder die höchste Quote an Verlusten eines Elternteils nach der Trennung der Eltern erleiden müssen.

Wo so häufig vom Kindeswohl gesprochen wird, sollten diese Zahlen alle Beteiligten zu denken geben. Hier muss dringend umgesteuert werden.

Fotos: Markus Witt


Zuletzt geändert am 15.11.2019 um 15:54

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