"Zahlväter" rebellieren gegen das Unterhaltsrecht
Menkens Sabine 22.1.2015 Zeitungsartikel
Rebellion gegen das Unterhaltsrecht
VON SABINE MENKENS
Die Mutter betreut, der Vater zahlt – das war in Deutschland jahrzehntelang das gängige Modell nach einer Scheidung. Doch immer mehr Männer lehnen sich dagegen auf
Im Kinderzimmer sind sie längst angekommen, die neuen Väter. Sie wickeln, füttern, holen von der Kita ab, helfen bei den Schularbeiten, besuchen Elternabende, lesen Gutenachtgeschichten vor. Sie stellen sich ihrer Verantwortung – auch nach einer Trennung. Dauerauftrag gegen Freiheit? Für immer mehr Väter ist das keine Option. Sie wollen auch nach einer Scheidung mehr für ihre Kinder sein als ein "Event-Daddy", der alle zwei Wochen mal für ein Wochenende hereinschneit und ansonsten pünktlich den Unterhalt überweist.
Der Gesetzgeber allerdings ignoriert diesen Wertewandel bislang weitgehend. Die gültige Rechtslage orientiert sich noch immer an dem vorherrschenden Familienmodell der alten Bundesrepublik: Die Frau betreut die Kinder, der Mann zahlt. Dass mittlerweile immer mehr Väter einen deutlich höheren Betreuungsanteil übernehmen – und damit auch erheblich höhere eigene Kosten haben –, wird in der Rechtsprechung bislang kaum berücksichtigt. Lediglich eine Rückstufung in eine niedrigere Gehaltsklasse in der "Düsseldorfer Tabelle" haben die Gerichte den Aktiv-Vätern bislang zugebilligt – ein Schritt, der allenfalls ein paar Euro im Monat ausmacht. So spart ein Vater mit einem Nettogehalt von 2500 Euro, der nach der Düsseldorfer Unterhaltstabelle eigentlich 419 Euro für sein sechs- bis elfjähriges Kind zahlen muss, bei einer Rückstufung um eine Gehaltsklasse gerade einmal 18 Euro (siehe Grafik) – das ist weniger als ein gemeinsamer Besuch im Spaßbad.
"Die bestehende Praxis zementiert die traditionelle Rollenaufteilung und bestraft Väter, die nach einer Trennung mehr als ein 14-Tage-Wochenendpapa sein und den Alltag der Kinder mit erleben und gestalten wollen", sagt Hans-Georg Nelles. Er ist Vorsitzender des Vereins Väterexpertennetz Deutschland und hat es sich zum Ziel gesetzt, am althergebrachten Bild des Zahlvaters ordentlich zu rütteln. Das Prinzip Betreuung auf der einen und BarUnterhalt auf der anderen Seite müsse flexibler gehandhabt werden, fordern Väterlobbyisten wie Nelles.
Im Sinne einer gleichberechtigten Teilhabe von Müttern im Erwerbsleben und Vätern bei der Erziehung ihrer Kinder sei der Gesetzgeber gefordert, die Rahmenbedingungen so zu gestalten, dass das Wechselmodell einer geteilten Erziehungs- und Versorgungsverantwortung die Regel wird, fordert Nelles. "Gegenseitige Ansprüche sollten ab einem 30-prozentigen Erziehungsanteil der Väter berücksichtigt werden, ohne dass der- oder diejenige, die den größeren Anteil an der Erziehungsverantwortung trägt, finanziell Not leiden muss. Trennungen und Scheidungen sind heute normal, und Kinder brauchen auch nach dem Scheitern der Beziehung ihrer Eltern Mutter und Vater."
Der Normalfall ist allerdings auch, dass eine Scheidung finanziell ziemlich ins Kontor schlägt. Bei Unterhaltssätzen von 364 bis 583 Euro für ein Grundschulkind kommen pro Jahr Tausende von Euro zusammen, die dem Vater erst einmal fehlen – obwohl nach der Trennung zwei Hausstände und im Idealfall auch zwei Kinderzimmer Unterhalten werden müssen: eins bei Mama, eins bei Papa.
In seinem bislang weitestgehenden Urteil hat der Bundesgerichtshof (BGH) am 5. November entschieden, dass es tatsächlich Voraussetzungen geben kann, wonach Mutter und Vater gleichermaßen für den BarUnterhalt ihrer Kinder aufkommen müssen. Und zwar dann, wenn sie sich die Betreuung genau hälftig teilen. Schon bei 60:40 ist wieder allein eines der Elternteile – in der Regel der Vater – zahlungspflichtig.
Für die Väterlobbyisten vom Bundesforum Männer ist das ein unbefriedigender Zustand. "Aus meiner Sicht ist das ein engstirniges und unflexibles Urteil, da der BGH daran festhält, dass ein Wechselmodell nur bei einem Betreuungsanteil von 50:50 vorliegt", meint Martin Rosowski, der Vorstandsvorsitzende des Bundesforums Männer. "Das sehen wir nicht ein. Warum sollte es nicht möglich sein, ein Instrumentarium zu entwickeln, wonach sich eine hohe Betreuungsleistung mindernd auf den BarUnterhalt auswirkt?" Die starre 50:50-Regel beinhalte außerdem "gegenläufige Anreize" für die möglicherweise noch im Clinch liegenden Ex-Partner, fürchtet Rosowski. "Dann will die eine unbedingt bei über 50 Prozent Betreuung bleiben, um den vollen BetreuungsUnterhalt zu bekommen, und der andere will genau das Gegenteil." Nur negativ will Rosowski das Urteil aber nicht sehen. Denn immerhin habe der BGH ja nun erstmals in Erwägung gezogen, dass ein "Wechselmodell" durchaus dazu führen kann, dass die BarUnterhaltspflicht reduziert wird. "Das ist eine Veränderung der bisherigen Rechtsprechung, auf die die Politik reagieren muss. Ich bin sicher, dass das ein großes Thema wird."
Im von Heiko Maas (SPD) geführten Bundesjustizministerium sieht man das offensichtlich ähnlich. Dort laufen derzeit die Planungen für ein Symposium zum Unterhaltsrecht, das Anfang Mai stattfinden soll. In der Expertenanhörung solle es vor allem darum gehen, wie aktuelle gesellschaftliche Entwicklungen wie Patchwork-Familien, Vollzeit arbeitende Eltern und die gleichberechtigte Betreuung nach einer Trennung im Unterhaltsrecht abzubilden sind. Bei dieser Debatte stehe man jedoch noch ganz am Anfang, heißt es aus der AG Recht und Verbraucherschutz der SPD-Fraktion.
Dass Handlungsbedarf besteht, scheint jedoch inzwischen Konsens zu sein, wie auch der familienpolitische Sprecher der Unionsfraktion, Marcus Weinberg, betont. "Für mich stehen immer das Wohlergehen von Familien und ihre Entscheidungsfreiheit im Vordergrund, nicht die Vorgabe bestimmter Familienmodelle. Immer mehr Eltern wünschen sich eine partnerschaftliche Aufteilung von Familien- und Erwerbsaufgaben. Und auch nach einer Trennung wollen viele Eltern an dieser Aufgabenteilung festhalten. Diese Lebenswirklichkeit müssen wir in den Blick nehmen."
Er befürworte daher eine Überprüfung der gegenwärtigen gesetzlichen Regelungen zur BarUnterhaltspflicht, sagte Weinberg der "Welt". "Wir als Familienpolitikerinnen und Familienpolitiker müssen dieses Thema in Ruhe und mit ausreichender Sorgfalt mit den federführend zuständigen Rechtspolitikerinnen und Rechtspolitikern diskutieren." Dabei müsse aber auch die finanzielle Situation der Mütter im Auge behalten werden, die in der Regel immer noch die Einkommensschwächeren seien. "Es muss auf jeden Fall ausgeschlossen werden, dass gegebenenfalls geringere Unterhaltszahlungen zulasten der Kinder gehen."
Genau da liege aber der Hase im Pfeffer, meint der Sprecher des Deutschen Familiengerichtstages, Heinrich Schürmann. "Das Wechselmodell ist kein Unterhaltssparmodell. Bei einem ausgedehnten Umgangsrecht steigen ja auch insgesamt die Kosten. Allein das zweite Kinderzimmer schlägt mit etwa 90 Euro im Monat zu Buche. Zusammengenommen wird das Ganze erst mal teurer." Und dann kämen natürlich die Fragen: Was muss alles angeschafft werden? Wer kauft die Klamotten? Und kauft man nun bei Kik oder bei Esprit?
Familienrichter Schürmann hat in der Beziehung schon viel erlebt. Und er weiß inzwischen: "Die wahren Probleme machen die Kommunikationsschwierigkeiten der Eltern." Dass es "Befriedungsinstrumente" wie die Düsseldorfer Unterhaltstabelle oder Gerichtsurteile zum Unterhalt überhaupt geben müsse, liege im Grunde einzig daran, dass der Streit über Unterhalt und Umgangsrecht das Einzige ist, worüber die Ex-Partner ihre negativen Gefühle noch austragen können. "Das Beste ist eigentlich, ein Paar macht Kassensturz, dann stellt man sehr schnell fest, was gerecht ist und was nicht." Wer dazu als Elternpaar in der Lage sei, brauche aber weder Gerichte noch neue Gesetze, meint Schürmann. "Die echten, funktionierenden Wechselmodelle wird ein Gericht ja nie zu Gesicht bekommen – weil die Leute sich untereinander einigen."
Zeitung: Die Welt - Print
Zuletzt geändert am 19.05.2015 um 02:05
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