Gutachten - Mangelhaft



Gutachten: mangelhaft

Sendedaten: 16.04.2015, 20.15 Uhr

Hunderttausende von Gerichtsprozessen werden jährlich in Deutschland geführt. In vielen davon ist die Beweislage dünn. Dann werden Gutachter zurate gezogen. Sie verfügen über eine große Macht - oft zu unrecht!

Jedes Jahr werden in Deutschland rund 170.000 Ehen geschieden. Davon sind etwa 140.000 Kinder betroffen. Elmar Bergmann hat als Richter unzählige Gutachten in Auftrag gegeben. Seit seiner Pensionierung arbeitet er als Anwalt für Familienrecht. Sein Urteil nach 40 Jahren Berufserfahrung ist eindeutig: Mehr als die Hälfte der familienpsychologischen Gutachten sind unbrauchbar. Die angeblichen Sachverständigen sind häufig unqualifiziert. Ihre Empfehlungen beruhen allzu oft auf Vorurteilen und Bauchgefühl. Ein weiterer Kritikpunkt ist, dass viele Gutachter pseudo-wissenschaftliche Testverfahren verwenden.

Die Hälfte der Gutachten hat erhebliche Mängel
Wie häufig sind Gutachten mangelhaft? Dazu gibt es bislang kaum wissenschaftliche Erkenntnisse. Die Psychologin Christel Salewski von der Fernuniversität Hagen will das ändern. Für eine Studie überprüfte sie mehr als 100 familienpsychologische Gutachten an verschiedenen Gerichten in Nordrhein-Westfalen. Bei der Hälfte der Gutachten fand sie erhebliche Mängel. Jedes dritte stützt sich auf fragwürdige Diagnose-Methoden. Und: Nur jedes vierte untersuchte Gutachten wurde von einem zertifizierten Fachpsychologen erstellt. Eine weitere Schwachstelle ist die Verständlichkeit. Sogar für Richter ist das Fachvokabular oft zu kompliziert.

Gutachter heißen streng genommen Sachverständige. Sie besitzen "Sachverstand" zu einer speziellen Fragestellung und dienen als Gehilfen des Richters. Das Problem ist, dass beispielsweise im Familienrecht dieser "Sachverstand" nicht näher definiert ist. Und es existieren keine verbindlichen Qualitätskriterien für psychologische Gutachten. Bei Strafprozessen gilt: BeGutachtende Psychologen oder Psychiater müssen einen Hochschulabschluss vorweisen. In der Regel durchlaufen sie Fortbildungen in RechtsPsychologie. Dazu verpflichtet sind sie nicht.

Signale erkennen und verstehen
Wegen mangelhafter Gutachten sitzen immer wieder Menschen unschuldig im Gefängnis. Wie lässt sich ein solches Versagen des Systems vermeiden? Im Strafrecht steht häufig Aussage gegen Aussage. Um Lügner zu entlarven, können Gutachter auf eine Reihe Signale achten. Sie müssen diese Signale aber erkennen und verstehen. Die wohl größte Herausforderung für einen Gutachter sind Zeugen, die Unwahres berichten, ohne sich dessen bewusst zu sein. Ihre Erlebnisse sind nur eingebildet, sie tragen Pseudo-Erinnerungen vor - aber glauben fest daran.

Psychologen können Pseudo-Erinnerungen aufspüren, indem sie die Entstehung der Aussage nachverfolgen. Straftäter können ohne Schuld sein - und trotzdem gefährlich sein. Die Allgemeinheit muss vor ihnen geschützt werden. Solche meist psychisch kranken Täter landen deshalb im Maßregelvollzug. Dann wird regelmäßig geprüft: Ist der Täter noch immer gefährlich? Oder kann er entlassen werden? Ein Psychiater erstellt dazu ein Risikoprofil des Täters.

Gutachter verfügen über eine große Macht, ihr fachliches Urteil entscheidet über den Verlauf von Menschenleben. Und doch kommt es vor, dass Gutachten fehlerhaft und unprofessionell unter Missachtung wissenschaftlicher Standards erstellt wurden.

14.04.2015 / hr

URL dieses Artikels:
http://www.3sat.de/wissenschaftsdoku/sendungen/181188/index.html


Sendeanstalt: 3sat Länge: 43:52

Zuletzt geändert am 21.04.2015 um 22:29

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